Placebo, Deadletter [02.11.2022: Stadthalle, Wien]
Placebo stemmen sich mit ihrem aktuellen Live-Programm aktiv gegen die Wahrnehmung als Nostalgie-Act: Altgediente Hits sind die Ausnahme, Never Let Me Go bestimmt den Abend.
Über die Hälfte der aktuellen Setlist (die für den seit Oktober laufenden zweiten Teil der Comeback-Tour übrigens ein wenig adaptiert und erweitert wurde) stammen vom tollen aktuellen Album – nur The Prodigal und This Is What You Wanted (also traurigerweise ausgerechnet die beiden besten Nummern der Platte) werden ausgespart – während im Umkehrschluss von Without You I‘m Nothing bezeichnenderweise kein einziger Song auf dem Programm steht.
Eine durchaus mutige Entscheidung, deren Rechnung jedoch subjektiv durchaus aufgeht: das aktuelle Material bekommt durch den lauten und bassintensiven, für die Stadthalle doch überraschend zufriedenstellenden Sound mehr Physis und unterstreicht die hohe Meinung hinsichtlich der Klasse von Never Let Me Go. Vor allem Beautiful James oder Try Better Next Time werden von der zufriedenen Menge sogar beinahe wie alte Lieblinge aufgenommen.
Stichwort alte Lieblinge: zu denen wären Deadletter, die derzeit den Supportact für Placebo geben, auch vor rund 15-20 Jahren – also zur letzten Blütezeit des UK-Indies, kaum geworden. Allerdings hätten die Londoner zumindest in der zweiten Reihe zwischen Kollegen wie The Others hinter Platzhirschen a la Franz Ferdinand nachhechelnd schon auch können. Denn der saxofongeschmückte, tanzbare und okay gehende Rock des Sextetts hat durchaus ein paar griffige Hooks auf Lager und bringt gelegentlich auch seine Stimmung machen wollende Animation auf den Boden – da kann Frontmann Zac Lawrence auch noch so schaumgebremst die exzessiven Jagger-Hemmungslosigkeit imitieren und seine eher zu spät gekommen, denn zeitlos wirkende Band auf der großen Bühne verloren wirken.
Insofern wären Deadletter wohl als Vorband einer stilistisch naheliegender Gruppe (wie beispielsweise der Libertines) oder in einer kleineren Location besser aufgehoben gewesen, ohne sich deswegen aber per se an ihrem für Aufmerksamkeit sorgenden Engagement vollends verhoben zu haben.
Auch Placebo selbst hätten es übrigens weitaus leichter auf ihrer Comeback-Tour haben können. Das merkt man spätestens, wenn die (das letzte Drittel des regulären Sets dominierenden) alten Diskografie-Hits (das etwas tröge geratene Too Many Friends, For What It‘s Worth, Slave to the Wage, Song to Say Goodbye, The Bitter End und Infra-Red) doch merklich mehr Euphorie beim Publikum entfachen, als die neuen, relativ gleichförmigen Nummern.
Der eine oder andere Kracher wäre insofern gerade zum Einstieg als Brecher (anstelle der okayen Lückenfüller Scene of the Crime und Bionic) oder mehr noch in der Zugabe keine das übergeordnete Statement untergrabende Aktion gewesen: Shout zündet bei der Rückkehr der Band auf die Bühne nämlich zwar schon besser als in der Studioversion, bleibt aber redundantes Unterhaltungsprogramm in der Placebo-Imitation, bevor Fix-Yourself auf atmosphärischer Ebene über seinen Album-Ursprung hinauswächst, als eine die justament aufgebaute Dynamik herausnehmende Klangwelt aber an dieser Stelle der Show ziemlich deplatziert ist. Das den sie meist den Rausschmeisser machende Kate Bush-Cover Running Up That Hill (A Deal With God) ist danach aber majestätisch wie gewohnt, grandios.
Was sonst noch auffällt an diesem die Stadthalle (mit einem nicht zu jungen, bunt durchgemischten und im Einzelfall gar blank ziehenden Publikum) sehr gut gefüllt, aber keineswegs ausverkauft habenden Abend in Wien: die Stimmung ist zumindest im vordersten Drittel der Halle gut, aber nur selten wirklich begeistert ausgelassen. Die Interaktion seitens der Band mit dem Publikum findet praktisch nicht statt, was bei einigen Besuchern dem Vernehmen nach eine gewisse Irritation auslöst – doch das ist eben die Attitüde von Placebo live. Olsdal (der auch erstaunlich oft als zweite Stimme in Erscheinung tritt) zeigt jedoch eine unerwartete Nahbarkeit, weswegen die ausgesetzte Kommunikation zwischen Publikum und Band am Ende – gemessen an den Eindrücken, die das live schon auch noch distanzierter auftreten könnende Duo mit seinen versierten vier Helfern anderswo hinterlassen hat, sogar verhältnismäßig gut gelaunt. Eventuell ja auch, weil sich ein Großteil der Besucher an die Bitte hält, sich Smartphone-Aufnahmen zu verkneifen. (Ein grundlegend absolut zu begrüßendes Gebot, das seitens der mit störend blinkenden Taschenlampen bewaffneten Ordnern übrigens als Verbot durchgesetzt wird).
Dass ein bisschen mehr Variabilität im meist auf ein mitklatschbares Tempo genormten Darbietung die Performance ohne die Bereitschaft für aufgelegten Evergreen-Zündstoff noch intensiver wirken hätte lassen, mag insofern außerdem stimmen, geht dann aber womöglich am Kern der Sache vorbei, weil Placebo auch so eine kurzweilige Show liefern, die es sich leisten kann, die Balance aus Verweigerungshaltung, Momentum und Entertainment nach eigen(willig)em Ermessen auszulegen: Diese Tour wird es nicht allen (alten oder nur auf die Hits wartenden) Fans recht machen – doch ist gerade das auch ein Grund, warum man bei der nächsten sicher wieder dabei sein wird.
Setlist:
Forever Chemicals
Beautiful James
Scene of the Crime
Hugz
Happy Birthday in the Sky
Bionic
Twin Demons
Surrounded by Spies
Chemtrails
Sad White Reggae
Try Better Next Time
Too Many Friends
Went Missing
For What It’s Worth
Slave to the Wage
Song to Say Goodbye
The Bitter End
Infra-redEncore:
Shout
Fix Yourself
Running Up That Hill (A Deal With God)
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