Sun Kil Moon and Amoeba – Vol. II

von am 9. Oktober 2025 in Album

Sun Kil Moon and Amoeba – Vol. II

Amoeba bleiben das Beste, was Mark Kozelek in den vergangenen zehn Jahren passiert ist. Allerdings degradiert er die ungarische Band auf Vol. II doch merklicher als bisher zur Projektionsfläche monoton ausgelutschter Sun Kil Moon– Manierismen. Inklusive schräger Rebellionen.

Im Verbund erklären sich Sun Kil Moon und Amoeba zum Rudel Wölfe, das seine abgeklärte Lässigkeit hungrig interpretiert: „I went upstairs to brush my teeth/ The studio cat was in a deep sleep/ I thought, „Oh my God, that’s the idea.“/ But I can’t shut my mind, so I came back down here/ To add another verse, ‚cause the song sounds incomplete/ Shavik said, „Okay, Mark, that’s enough now—get some sleep.“/ I said, „Wait a minute, I wanna do one last thing.“/ And just when I said that, the wolves started howling again“. Und das Gespann heult vor dem funky Groove gespenstisch den Mond an: „Ooooooo/ Ooooooo/ Ooooooo“.
Was schon der lange bekannte Opener Wolves demonstriert: Wo Kozelek seit Benji dazu neigt, seinen zugegeben nicht sonderlich interessante Alltag in endlos lamentierenden Litaneien über repetitive musikalische Hintergründe auszudehnen, gibt das musikalische Fingerspitzengefühl der Band ihm die Sicherheit, um Vol. II zu seinen diesbezüglich exzessivsten – wahlweise konsequentesten, wahlweise ermüdendsten, wahlweise polarisierendsten – Werk seit langem zu formen.

Im sanft bekümmerten, wehmütigen und mit betörend melancholisch schweifenden Drive ausgestatteten Mother and Daughter schwadroniert Kozelek darüber, dass er seine Schwester vermisst, deren Tochter ihm aber ohnedies den Rang abläuft. Dabei schafft er es, ein Thema, das sich mit dem natürlichen Lauf der Dingen und der Beziehung zwischen Eltern und Kind auseinandersetzt, so darzustellen, dass es selbstsüchtig wirkt. Statt einer universellen Gültigkeit bietet Kozelek als weltreisender Troubadour die Position eines egozentrischen Typen an, der in seiner Blase gefangen auch noch Scheuklappen trägt.
Dies wiegt auch schwerer als die Tatsache, dass Vol. II hier („Aint no love stronger/ Than mother and daughter/ There ain’t no bond like/ Mother and daughter“) einen ziemlichen Ohrwurm kreiert.

Ähnlich verhält es sich mit Fairytale Sunday, das womöglich alles adelt, worauf die Karriere von Kozelek seit Benji hinwollte.
Amoeba breiten treiben dafür ein maritimes Treiben am flächig ortenden Klavier unter der meditativen Wasseroberfläche aus: Atmosphärisch dicht und fesselnd, mit minimalen Mitteln Tiefe erschaffend, entsteht so ein Epos für all jene, die die Geschichte darüber hören wollen, wie Mark sich in einer Gegend, die er kennt, auf der Suche nach offenen Geschäften verläuft, und von einer mitleidigen Frau im Auto zum Markt im Zentrum der Stadt gefahren wird – inklusive wiedergegebener Einkaufsliste. Kozelek wird aufdringlich genug sein, um seine Chauffeurin über ihr Privatleben auszufragen, fühlt sich aber nicht befugt, im Song darüber zu erzählen. Was er dagegen berichtet (man spricht über existentielle Dinge oder Trivialitäten – alles ist hier das selbe), passiert aber geradezu apathisch, gelangweilt – die Schilderungen wirken ungelenk und konstruiert, nicht aus dem Leben gegriffen. Sie sind eine Geduldsprobe ohne wirklichen Mehrwert. „I’m a vocalist/ Or maybe a singer or something/ I don’t know/ Never mind“ kann da als Pointe durchgehen. Jedenfalls ist es das Spannungsfeld, in dem sich diese archetypische Kurzgeschichte bewegt.

Das immer noch sentimental schöne What the World Needs Now is Love wirkt wie ein versöhnliches Conclusio dazu und irgendwie funktioniert all das in seinem eigenen Kosmos eh schlüssig: Vol. II ist gewissermaßen ebenso eine interessantere, weniger enervierende – auf Lethargie anstelle eines penetranten Völlegefühls setzende – Version von This Is My Dinner (was übrigens nicht von ungefähr kommt) oder ein enttäuschenderes Update zum tollen Vol. I von 2024, bei dem Captain Mark sein Schiff zwar keineswegs zum Kentern bringt, aber viele umschmeichelhafte Manöver vollführen lässt – die für ihn selbst wiederum wohl kaum befriedigender ausfallen könnten.
Als Jump-the-shark-Mahnmal steht diesbezüglich Budapest Block, in dem Rapper Mark vor dem Hintergrund einer ambienten Spa Musik für imaginative Agentenfilm All In geht. Amoeba spielen so zurückgenommen, als würden sie mit dezenter Rhythmik einen armosphärisch fesselnden Ladebuldschirm kreieren – bis ein kurzes, hibbeliges Segment die Dynamik wahllos auf den Kopf stellt und ebenso wenig nachvollziehbar wieder verschwindet, wie es auftaucht.
In Verőce verzichten Amoeba dann auf Instrumente und legen die tonale Leinwand alleine mit choraler Esoterik aus, während Kozelek im Spoken Word-Modus über den Alltag mit seinen europäischen Kollegen und Freunden (inklusive irritierender Stimm-Imitationen) erzählt.

Man kann es den Musikern gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie derartige (inszenatorische) Akzente setzen. Und diese Wirkung zeigen. Etwa, wenn die relaxte Gitarre des sommerlichen The Police-meets-Steely-Dan-Flairs in Happy Birthday Elle später nicht nur jazzig klimpernde Gesellschaft bekommt, sondern der Refrain auch zum Gemeinschaftsakt wird – übrigens ein generell gerne gewählter Kniff im Verlauf. Sie untermalen dann im Grunde zwar mehr als bisher den Stream of Consciousness von Kozelek (der mittlerweile leider wieder Abstand von seiner Rückkehr in singende Gefilde zu nehmen scheint) wie unterstützende Handwerker, lehnen sich aber auch überkompendierend mit kreativer Integrität auf.
Sie wollen keine restlose Komfortzone im Woflfühlbereich aufkommen lassen, zumindest ein bisschenunberechenbar bleiben. Notfalls eben mit der Brechstange.
So auch in Dulcolax – mit knapp dreizehn Minuten Spielzeit der zweitlängste Song der Platte -, für den Amoeba zurückgelehnt und abgedämpft einen fast hiphop-artigen Beat erzeugen, über den Kozelek spricht. Er erinnert sich daran, wie er dachte, Joghurt zu essen, dann dann aber doch zur Apotheke musste, oder rekapituliert vollkommen nebensächliche Gespräche auf denkbar unspannendste Art und Weise. Amoeba werfen derweil rufend Handgranaten oder switchen die Grundlage im letzten Drittel zum Minimal Rap samt sexy Lounge-Groove – so konsequent wie mit viel organischem Gefühl umgesetzt – bevor die ursprüngliche Staffage etwas willkürlich zurückkehrt. Kozelek deklariert dann (hoffentlich wohl nicht ohne Ironie) „I know when to shut up“ und genießt demonstrativ die ausklingende Stille.

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