These New Puritans – Crooked Wing

Die eleganten Post-Art-Avantgardisten These New Puritans verschmelzen auf Crooked Wing Elemente ihrer bisherigen vier Studioalbenzu ihren bisher schöngeistigsten, vielleicht sogar zugänglichsten und ganzheitlichsten Werk.
Bezaubernder als im getragenen Industrial Love Song, einem würdevoll balladesk schwelgenden Duett mit der eine poppige Griffigkeit in Zeitlupe implementierenden Caroline Polachek aus der Sicht zweier Kräne auf einer Baustelle hoch über dem Alltag, die sich nicht berühren können, aber über die Sehnsucht, dass sich zumindest ihre Schatten treffen könnten Hoffnung ziehen („We are higher than the setting sun/ Made of metal, we are made of stone/ When the day returns, all that I dream/ Is that your shadow falls upon my own“), haben sich die Barnett-Brüder jedenfalls gefühlt noch nicht der Welt geöffnet – ganz unkitschig, sehr romantisch.
Das gewissermaßen nahtlos übernehmende I’m Already Here schließt dann bimmelnd sechs Jahre zurückblickend den Kreis einer ganz vortrefflichen ersten Plattenhälfte, wenn Assoziationen an Bells (ein Sich-treiben-lassen am Klavier als sanft moduliertes Oszillieren, das behutsam zum Ambient-Pop anschwillt und sich zur Zeitlupe ausstreicht, ohne einen Ausbruch oder Klimax zu erzeugen) zur Mitte der Nummer an Tasten gleitend erlöst werden, die wie eine Variation des Industrial Love Song-Themas im Wellengang von Bläser- und Streicher-Arrangements gestützt ein subversives Verbinden jener Elemente zeigt, die Crooked Wing bis zu diesem Zeitpunkt ausmacht.
Der erst fünfte Langspieler in den knapp zwanzig Jahren Existenz der britischen Band expandiert weniger, als dass es sofort vertraut und auch demonstrativ selbstreferentiell klingt, schafft es aber dennoch, den Keim neuer Facetten in den Kosmos von These New Puritans zu implementieren.
Das ätherische Pastoralität des an die Sphären von Kate Bushs Snowflake gemahnenden Intros Waiting (das am anderen Ende der Platte mit dem Epilog Return einen entsprechenden Nachhall als Rahmen der Platte bekommen wird), funktioniert auf diese selbe Weise wie This Guy’s in Love With You auf Field of Reeds (2013), während das mit Industrial- und Postpunk-Grundierungen so rhythmusbetont arbeitende A Season in Hell direkt aus der Mitte der Beat Pyramid und Hidden kommt: Hart, kalt und majestätisch wuchtig forciert das von zahlreichen Gastmusikern unterstützte Duo die fiebertraumartig transzendierende Atmosphäre und harmonisiert spätestens jetzt ihren MO der 10er-Jahre mit jenem ihrer Frühphase.
Was beiden Stücken gemein ist, ist nicht nur die auf Inside the Rose (2019) kultivierte Offenheit in Fläche, Raum und Struktur – weswegen sich das Songwriting meist um eine Idee dreht, die für sich nirgendwohin entwickelt wird, aber dazu beiträgt, dennoch ein weitestgehend rundes Ganzes zu erschaffen: nunmehr auf emotionaler Ebene tiefer gehend und das grundlegende Niveau in einem homogenen Fluss verbindend -, sondern eben auch eine monolithisch texturierende, einnehmende Orgel – die im weiteren Verlauf leider weitaus weniger stark forciert als möglich genutzt wird, und insofern wie die inkonsequente Vorstellung in einem Backdoor-Pilot für kommende Alben auftritt.
Wenn man Crooked Wing in dieser Ausgangslage etwas vorwerfen kann, dann den Umstand, dass These New Puritans dieses Niveau in der zweiten Plattenhälfte entlang einer relativen Redundanz nicht mehr ganz halten können, nachdem das dunkler verzerrte Wild Fields (I Don’t Want To) kontemplativ polternd mit einer stimmungsvollen, okkulten 80er-Industrial-Prägung als Entspannungsmusik ohne wirkliches Loslassen um den Fokus mit intrinsisch angezogenem Spannungsbogen reizt, man einige leere Meter abspult und das zwingende Momentum keine Rolle spielt.
Das betörende The Old World hat so zwar eine erhebend gemeinschaftliche Melodie als Leitstrahl, passiert aber dort, wo man diesen nur beobachten, nicht aber greifen kann. Der Titelsong pulsiert geduldig perkussiv polternd und holt die Orgel zurück, um die Schwere mit elegischer Leichtigkeit erscheinen zu lassen, derweil ein Klavier als Spiegelung zum bisherige Verlauf des Albums zur Mitte der Nummer alles Tempo a la Hisaishi oder Sakamoto aus dem Geschehen hinausnimmt – nur um sich zu mäandernd und zerfahren aufzubäumen und abzublendenden. In Goodnight streife die Talk Talk-meets-Blue Nile-Liebe der Band vage um die melodischen und ästhetischen Essenzen der Platte, bündelt noch einmal alle Ingredienzien zu einem Revue-passieren lassenden Abschied, döst dann aber symptomatisch lieber als antiklimatisch als plätschernder Leisetreter im schleichenden Twin Peaks-Ambient.
Dass die besten Songs der Platte zu diesem Zeitpunkt schon längst vorab bekannt waren, und Crooked Wing wie die meisten seiner Vorgänger in der Balance aus herausragenden Geniestichen und verkopfter Klasse seinen Eklektizismus pflegt, wird die Wirkung dieses eleganten, genugtuenden Kaleidoskops wohl langfristig betrachtet noch ausgleichen.
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