Travis – L.A. Times

von am 17. Juli 2024 in Album

Travis – L.A. Times

Travis wollen den seit Ode to J. Smith etablierten Rhythmus aus alternierend guten und sehr guten Alben unterlaufen, indem sie ihre Komfortzone auf L.A. Times expliziter zu verlassen versuchen, als auf jedem anderen Vorgängerwerk seit mindestens 12 Memories.

Das ist, um es gleich eingangs vorwegzunehmen, hinter einem der schönsten Diskografie-Artworks der Band, eine Rechnung, die nur bedingt aufgeht. L.A. Times wird am Ende seiner sehr kurzen 32 Minuten Spielminuten zwar gleichzeitig vertraut und doch auch vielseitig angelegt anmuten. Es wird Entscheidungen treffen, die an sich spannende Ergebnisse liefern müssten, doch weil es dabei allerdings vor allem unfokussiert agiert und sein Potential nicht ergiebig abzuschöpfen versteht, gerade dem unausgegorenen Ganzen eine klare Linie fehlt, wirkt das Ergebnis so merkwürdig beiläufig und ohne langlebige Intensität auch einfach ein bisschen langweilig.
Tony Hoffer bietet Travis schließlich zwar klangtechnisch durchaus neue Perspektiven an (was vor allem im Kontrast zu den Stripped Down-Versionen auffällt – oder bei den organisch klingenden Drums, die zu einer fast mechanischen Beat-Wirkungsweise finden), doch kann der renommierte Produzent (von u.a. Air, Beck, Phoenix, The Thrills, Turin Brakes, Idlewild oder The Kooks) dabei nicht den finalen Meter aus dem Songwriting pressen, der aus grundlegend tollen Nummern auch wirklich zwingende herauspresst.

Da gibt es etwa jene Szenen, die dem MO von Travis etwa klar neue Impulse und frische Tricks beibringen wollen – den hippiesker tänzelnden Retrofuturismus Home mit seiner funky Zuneigung für die späten 60s und frühen 70s, die später an Come and Get Your Love erinnert; den weirden Roadhouse-Blues mit Hip Hop-Backdrop-in-Schieflage namens I Hope That You Spontaneously Combust, der Damon Albarn gefallen könnte; der Titelsong als grundlegend klassische Nummer mit elegischer, schwelgender Attitüde, die jedoch von einem zwischen verträumter Lethargie und flottem Zug keinem Unterschied machenden Quasi-Rap-Sprechgesang angetrieben wird – und damit einen unbefriedigenden Closer generiert.
All diesen Stücken fehlt nämlich jene Konsequenz, die Fran Healy derzeit selbst mit seinem polarisierenden Look an den Tag legt.

Dann sind da auch noch Phasen, in denen Hoffer aus der Band einen massenkompatiblen Unterhaltungswert mit einer fast absurd auf dezente Subtilität gebürsteten Vehemenz zu bürsten versucht, Ohrwürmer erzeugt, deren Hebel hinsichtlich der Tiefenwirkung dennoch ein wenig im natürlichen Gegensatz zur bodenständig zurückhaltenden Bescheidenheit von Travis selbst zu stehen scheinen.
Der schöne Bus schunkelt mit vorsichtig beschwingter Aufbruchstimmung in fernöstlicher Patina zum minimalistischen Synthpop, bleibt aber verhalten. In Raze the Bar läuft der Rhythmus stoisch entspannt dahin, blüht im Refrain vor bimmelnder Niedlichkeit und latenten Synthie-Schwaden mit Chris Martin und Brandon Flowers mehrstimmig auf („We are, we are who we are, who we are“) und schmeißt die letzte Party ohne Stadion-Bombast, Gaslight klimpert mit Bläsern und Chor lalala-leichtgängig schnipsend zum überschwänglich nonchalanten Hit und Alive marschiert federleicht stampfend im 80er-Schimmern zur Mitmachen-Animation („Na-na-na, hey hey/ Bye, bye, bye, bye, bye, bye, bye, bye, bye, bye/ Na-na-na“), bevor die beschwingte Aufbruchstimmung von The River mit einem Bein im hymnischen Nirgendwohin dort versandet, wo Coldplay sich erst für ein Intro aufgewärmt hätten.

L.A. Times sei „the most personal album since The Man Who” deklarieren die Schotten, doch tatsächlich fühlt sich ihr zehntes Studiowerk seichter an, als praktisch alle seine Vorgänger – was auch damit zu tun hat, dass die intimer angelegten Momente (wie das zurückhaltende Live It All Again, das mit ein bisschen Gitarren-Geplänkel, ein paar Bass-Tupfern und verhuschten gesanglichen Schattierungen als Miniatur auszukommen versucht, sowie das aus Tom Pettys Free Falling erwachende Naked in New York City, das sparsam ins freedolkige mäandert) keine berührende Reibung erzeugen wollen.
So bleibt (gerade wegen einer wirklich schmissigen, gelungenen ersten Hälfte) zwar deutlich mehr von L.A. Times hängen, als von Everything at Once – jedoch eben auch mehr negatives, nein, vielmehr frustrierendes. Doch egal: damit kann man leben… und dem Gesetz der Serie nach sollte für die nächste Platte ohnedies wieder ein Aufschwung stattfinden.

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