Die Alben des Jahres: 20 bis 11
Nicht verpassen! | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 bis 01 |
20. Die Nerven – Fun
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„‚Fun‘ ist 36 Minuten und sechs Sekunden lang und eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts„. Wie oft wurde er nicht zitiert und aufgegriffen, dieser ordentlich Lärm machende Satz vom Kritiker-Reizfigur Jan Wigger. Zwölf Monate später zeigt sich endgültig, wieviel Wahrheit allerdings in diesem Satz lag, liegt und wohl auch auf absehbare Zeit liegen wird: einerseits, weil Die Nerven nicht nur hauseigene Qualitätstradition walten ließen (und praktisch alles, was man seit ‚Assoziale Medien‘ an dieser offenbar polarisierenden Band saugeil finden konnte, einfach nochmal deutlich stärker und vor allem insgesamt runder ablieferten), sondern hierbei gar die Messlatte im Jahr 2014 legten und tatsächlich zumindest für Stuttgart zur wichtigsten Band der gegebenen Stunde wurden, indem sie das plötzlich auftauchende Scheinwerferlicht nutzten und dabei halfen bemerkenswerte Kumpanen wie Human Abfall oder Karies auch auf der Wahrnehmungslandkarte für Szene-Unkundige zu positionieren (das Nerven-abseitige Highlight liefert dennoch deren hauseigener Allrounder Max Rieger auf dem A- Langspieler ‚Kein Punkt wird mehr fixiert‚, den diese Liste keineswegs unerwähnt auskommen lassen durfte); und andererseits, weil ‚Fun‚ eben auch ein knappes Jahr nach seiner Veröfffentlichung auch wirklich immer noch zum mitunter besten aus dem Nachbarland tönendem gehört, dem Schema der kontinuierlich hochkarätigen Veröffentlichungen aus Deutschland (in allen Lagern, egal ob nun von Captain Planet oder Messer) folgend, darstellt. Bei Beweisbedarf einfach nocheinmal diese 10 Songs auflegen: sie pusten einem die Gehörgänge durch, wie am ersten Tag. Und sogar ganz ungeachtet dessen, dass gegen die Livemacht Die Nerven kein Tonträger Land sehen kann.
19. Have a Nice Life – The Unnatural World
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Dafür, dass Have a Nice Life eines der großartigsten Alben des Jahrtausends aufgenommen haben, ist es zum einen immer recht ruhig um Dan Barrett und Tim Macuga geblieben, und zum anderen hat es lange bis zum definitiven Nachfolger von ‚Deathconsciousness‚ gedauert. Vielleicht ja auch zum Besten, Erwartungshaltungen, und so. Nicht zuletzt scheint von ‚Deathconsciousness‚ für viele auch weniger die Musik, als die perfekt als Blogtitel geeigneten Depressions-Oneliner geblieben zu sein – für den rar gesäten musikalischen Output von Have a Nice Life interessierten sich die wenigsten. Aber „I don’t love!“
Schwer also, sich direkt auf ‚The Unnatural World‚ wohlzufühlen, und beinahe ohne, dass man das eigentlich will, tut man es dann sogar. ‚Guggenheim Wax Museum‚ hat so einiges von dem, woran man sich zu erinnern glaubt am Vorgänger gut gefunden zu haben: eine heruntergekommene Lo-Fi Ästhetik die den Gesang unter sich begräbt, wie Aluminium schepperndes Schlagzeug und sich finster und hohl auftürmende Gitarrenwände. Der Post-Punk gewinnt im selben Soundgewand im weiteren Verlauf immer öfter die Überhand, wenn er auch in ‚Defenestration Song‚ bereits seinen Höhepunkt findet, einer der unterkühltesten Abfahrten des Jahres, die unterschwellig sehnsuchtsvoll knistert, am Ende aber doch unter Einsatz von Sirenen in sich zusammenfällt. In den euphorischsten Momenten (‚Unholy Life‚) schießt ‚The Unnatural World‚ nicht über My Bloody Valentine hinaus, in den dunkelsten (‚Cropsey‚) Giles Corey nicht in den Rücken. Und geschätzt ungefähr zum selben Zeitpunkt als man bei der Halbzeit von ‚Deathconsciousness‚ noch grinsend ‚Waiting for Black Metal Records to Come in the Mail‚ lesen konnte, ist es mit dem denkbar besten Nachfolger eines unbegreiflichen Debuts auch schon vorbei. Ach ja: „But it feels real!“
18. Bohren & der Club Of Gore – Piano Nights
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Ihre furchteinflößendsten Zeiten haben Bohren & der Club of Gore hinter sich: neun Jahre nachdem die knochigsten fünf Finger in der Geschichte der Fahrstuhlmusik nur haarscharf am kompletten Stillstand vorbeigestreichelt sind, erinnert man sich aus dieser – wenn man es so nennen möchte – Phase der Band in erster Linie an die Töne, die nicht gespielt wurden. Anders als oft angenommen geht es im Schaffen Bohrens schon so lange nicht mehr um das möglichst langsam, seit dieser Schmäh mit dem Duo ‚Black Earth‚ und eben der ‚Geisterfaust‚ perfektioniert wurde; längst hat man sich vom Friedhof an den Tresen (oder eben in diesen Fall ans Piano) begeben, um der „uneventful music“ stetig das ein oder andere Ereignis hinzuzufügen. Das Gastspiel von Mike Patton vor zwei Jahren mag im Nachhinein eine – gelungene – Spielerei gewesen sein, spätestens seit ‚Catch my Heart‚ kann aber niemand mehr ernsthaft eine Entwicklung leugnen.
In der Tradition der Bohren-Alben, die einen anhand des Titels Pi mal Daumen vorhersagen lassen wie sie klingen, steht nun also ‚Piano Nights‚. Es sollte Bohrens Schlager-Album werden, mit Titeln wie ‚Bei Rosarotem Licht‚, ‚Unrasiert‚, ‚Komm Zurück Zu Mir‚ (oder ‚Fahr zur Hölle‚), einer großspurigen Werbekampagne (das BESTE Album seit ‚Black Earth‚!), dem Interpreten auf dem Cover, und einer Rhythmussektion, die sich ihren Weg unerbittlich in die Hüfte sucht, bis es halt zum Totentanz statt zum Discofox kommt. Die Fender Rhodes mit dem Titelgebenden Yamaha E-Piano ausgetauscht gaukeln die Mülheimer nicht unähnlich einem Wendler mit einem optimistisch hohen Tempo die heile Welt (nur eben in verrauchten Bars) vor, wo es sich hier bei genauerem Hinhören dann aber doch um ihr kältestes, knochigstes Album handelt. Die zum Zurücklehnen einladende Wärme eines mit Daunen gepolsterten Sarges wie sie ‚Dolores‚ noch ausstrahlte ist beinahe im Rinnstein vor der Kneipe versickert, bis in einem schockierenden Geniestreich in der letzten Nummer tatsächlich zum ersten Mal seit fünfzehn, zwanzig Jahren noch die Gitarre ausgepackt, und sanft aber bestimmt zur Sperrstunde geblasen wird.
17. Earth – Primitive and Deadly
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Oberflächlich betrachtet hat sich in Earths zweiter Schaffensphase von Album zu Album nicht viel getan: präzise Gitarrenstrukturen von einem unterstützenden, im besten Sinne reservierten Schlagzeugspiel untermauert, und wenn Dylan Carson lustig ist mit Americana-infundierten Melodiefragmenten austexturiert. Was sich für den Uneingeweihten trocken und ermüdend lesen mag, erweist sich praktisch seit nun (je nach zählweise) sechs Alben als ungemein fesselnd, was man auf Earths – und in erster Linie wohl Carsons – Willen zur Evolution zurückführen kann. Mit jedem neuen Eintrag in die Diskographie werden nicht nur weitere Schichten an Countryismen auf den der Musik von Earth zu Grunde liegenden Drone geschichtet, die historisch aufgeladene Zaubertruhe der Band klappt sich auch stilistisch immer weiter auf, sei es die sanft in den musikalischen Kontext eingeführten Instrumente wie das Cello oder perlende Pianos oder die strengen Zügel die das ‚Angels of Darkness…‚-Doppelpack an die Psychedelik von ‚The Bees Made Honey in the Lions Skull‚ legte.
Die diskussionslos stärkste Stilverschiebung legt nun das genial aus dem Bauch betitelte ‚Primitive and Deadly‚ hin. Nicht weniger als die Mikrophone wurden auf der Rancho De La Luna entstaubt, und man möchte es erst kaum glauben, aber mit dem Gesang von Mark Lanegan und Rabia Shabeen Qazi wird die Musik von Earth um eine Facette erweitert, von der man bis dato nicht mal wusste, dass man sie zuvor vermisst hat. Und als wäre das nicht schon genug für ein Album, legt Carson auf dem Opener ungewohnt brüsk einen – man ist fast versucht zu sagen Doom-Brecher hin, und auch ansonsten wird sich an den Saiteninstrumenten auf ‚Primitive and Deadly‚ ausgetobt, wie es vielleicht auch Lanegan bei seinem Gastspiel gesanglich hätte machen können. Der wunderbarste Ausflug in fiebrige Psychedelik des Jahres ist ‚Even Hell Has its Heroes‚, das – wie das Album selbst, mitsamt Artwork und allem was dazu gehört – mit seinem ebenso arschcoolen Titel wie Gitarrenabfahrten stellvertretend für das Gesamtkunstwerk, das Earth hier vorgelegt haben, das Earth sind, stehen kann.
16. Scott Walker & Sunn O))) – Soused
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Als die Kooperation dieser Säulenheiligen der experimentellen Musik mit einem wenig mysteriösen, dafür umso stärker hypenden „Scott O)))“ Logo angekündigt wurde, durfte man durchaus vom Besten (will heißen: Schlimmsten) ausgehen: Sunn O))) stecken seit locker mehr als zehn Jahren in ihrer kreativen Hochphase, wollen dort partout nicht mehr raus, und haben darüber hinaus oft genug bewiesen, wie sie im Kontext einer Kollaboration mit Künstlern auf Augenhöhe strahlen – selbst 2014 öfter als nur dieses eine Mal. Scott Walker muss man, seit ihm in den Achtzigern die Synapsen geplatzt sind, mindestens seinen beispiellosen Kreuzzug durch Pop und Avantgarde zu Gute halten, und wie er seine Anhängerschaft nicht nur durch den vermeintlich genialen Einsatz von Flatulenzen zum Beispiel am eigenen Verstand zweifeln lässt. Mit ‚Soused‚ kündigte sich bestenfalls etwas Monumentales an, wie man es von Sunn O))) erwarten darf, jedenfalls jedoch etwas Apokalyptisches, wie man es von Walker befürchtet. Und tatsächlich ist alles auf das beste beider Welten hinausgelaufen: Sunn O))), in ihrer gönnerhaften Zurückhaltung, drücken Walker das Zepter in die Hand, und ringen ihm in der Kooperation seine besten Seiten ab. Wo beide Parteien natürlich nicht unbedingt für das beschreiten des einfachsten Weges bekannt sind, umschmeicheln Steven O’Malley und Greg Anderson beinahe Walkers präzise kanalisierte Eskapaden, lassen ihm, seinem theatralischen Gesang, seiner Vorliebe für Industrial und seinen Peitschen die Bühne, und spielen sich nur manchmal in den Vordergrund. ‚Soused‚ fesselt in den Momenten in denen Walker den Ton angibt ebenso wie in jenen in denen sich Sunn O))) einer verspielteren Herangehensweise an ihren nur oberflächlich sehr eingeschränkten Stil hingeben, und am Ende, nach dem coitus interruptus von ‚Lullaby‚ steht man nach mehr verlangend da, wie zumindest nach Platten von Scott Walker bisher.
15. Damon Albarn – Everyday Robots
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Damon Albarn, dieser arrogante Sack, will es einem scheinbar schwer machen ihn zu lieben. Und obwohl er als Mensch, der seit zwanzig Jahren nicht aufhört zu behaupten aus der Arbeiterklasse zu stammen, durchaus genug Grund liefern würde, ihn unsympathisch zu finden, schreibt der Mann einfach morgens auf der Toilette schon viel zu gute Songs, um ihm jemals irgendetwas übel zu nehmen. So auch für sein (eigentlich nicht wirklich) erstes Solo-Album ‚Everyday Robots‚, das alle musikalischen Obsessionen des – sind wir uns ehrlich – Ex-Blur Frontmannes auf einem Fleck vereint: Gorillaz‘ Dub-Strukturen finden sich ebenso wie karibische und afrikanische Nuancen, schwebende klassische Instrumentierung trifft auf die Musik der späten Hauptband. Für das Produkt eines Musikers, der in der Vergangenheit bewiesen hat, alles was er anfässt mehr oder weniger vernünftig zu Ende zu bringen, ist ‚Everyday Robots‚ ein fast schon bescheidenes Album geworden. Es mutet anfangs kleingehalten, später nur noch ruhig an, mit den intimsten Songs die Albarn seit über zehn Jahren geschrieben hat und dem Hitpotenzial in der Hinterhand. Anders als beispielsweise ‚Think Tank‚ spart sich Albarn die proletoiden Ausbrüche in den Krach diesmal völlig, und setzt – bis auf den schelmisch mit der Hüfte wackelnden Ausflug in die Sommerfrische ‚Mr. Tembo‚ – auf augenscheinlich unaufregend schlurfende Popperlen mit einer gesunden, von Bobby Womacks Schwanengesang rübergeretteten Portion Soul, wie sie wohl nur der Melancholiker aus Leytonstone, wie er da zusammengesackt auf dem Cover hockt, zusammenbringt.
14. Yob – Clearing the Path to Ascend
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Mike Scheidt, der charismatische Frontmann von Yob, mit seiner schamanenhaften Erscheinung, hat vor der Veröffentlichung des siebten Studioalbums seiner Hauptband ‚Clearing the Path to Ascend‚ ausführlich darüber gesprochen, was der Nachfolger zum großartigen, aber ambivalent aufgenommenen Vorgänger ‚Atma‚ werden sollte: von einer persönlichen Karthasis nach Scheidung und dem Absetzen von Antidepressiva war da die Rede, weshalb es das am wenigsten abstrakte Album der Doom-Instanz bis dato werden sollte – wobei gerade das als eine Eigenschaft betrachtet werden kann, die ‚Atma‚ für einige schwierig zu begreifen gemacht hat. Trotzdem ist ‚Clearing the Path to Ascend‚ keineswegs ein dunkles Album, nicht zuletzt Yobs Quasi-Comeback ‚The Great Cessation‚ ging anno dazumal mit einer ungleich größeren Wut in die Vollen. Stattdessen breitet sich eine erlöste, fast hoffnungsvolle Stimmung über die vier Songs aus, wie die strahlenden Monde am Plattencover die Tristesse der Landschaft nicht zulassen. Immer tiefer spielen sich Yob von der ersten Minute an in die Transzendenz, ihr Hoheitsgebiet, und nicht, dass nicht jedes einzelne, virtuos gespielt Instrument in gleichem Maße dazu beiträgt, aber: Mike Scheidt ist zweifellos der Torwächter. Über rauschende Drums und ultrakomplexe Riffs, die trotz ihrer Verkopftheit nie etwas von ihrem Groove einbüßen, hangeln sich Yob in das abschließende Epos des Albums, dem tatsächlich unbeschreiblich erhabenen ‚Marrow‚, das einem bei aller sich Schicht für Schicht auftürmenden Härte ausgerechnet die Fragilität als Message dieser zwanzig abschließenden Minuten mit auf den Weg gibt. Und wenn sich Yob mit diesem Finale endgültig verabschieden würden, wäre es das ultimative Testament des Modus Operandi eines Mike Scheidt: die Kompositionen scheinen sich in dem Moment, in dem sie aus den Boxen dringen erst zu entwickeln und vervollständigen, und nicht wie bei so vielen Kollegen aus dem Doom-Baukasten zu stammen. Eine Eigenart, die Yob einen Platz an der Spitze des Metal-Olymp sichert.
13. Lana Del Rey – Ultraviolence
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Das insgeheim beste am stärksten massentauglichen Pop-Album des Jahres – gleichzeitig auch eine Aussicht darauf, wie gut die Mainstream-Charts in einer gerechten Welt doch sein könnten – ist der Sound der Platte: weil eine Dan Auerbach-Produktion endlich einmal so klingt, als hätte die betreute Musikerin dem Black Keys-Mann gesagt wo es langzugehen hat – also einmal nicht in Richtung gleichgeschaltenen Danger Mouse-Einerlei, das Auerbach ansonsten so gerne abliefert. Letztendlich ist es genau dieser vage Umriss des Auerbach-typischen Retro-Sounds, in dem Elizabeth Woolridge Grant das perfekte Umfeld für ihre anachronistischen Kompositionen gefunden hat, wo die (noch nicht ausnahmslos auf derart hohem Niveau wie hier angesiedelten) Songs vom Vorgänger ‚Born to Die‚ noch am anbiedernden Trend-Klanggewand krankten. Das Ergebnis ist ein betörender Fluss, der abseits der Ausnahmenummern diesmal auch keine Ausschussware zu verzeichnen hat (und wie sich anhand des Big Eyes-Soundtracks zeigt: den Nährboden für weitere Ohrwürmer aus dem Hause Del Rey geebnet hat). Perlende Schönheiten wie ‚Shades of Cool‚, ‚Shades of Cool‚ oder der Titelsong sind dennoch die nachhallendsten dieser sphärischen, ätherischen Popelegien, die einen unwirklichen Glamour ausstrahlen aus, elegant, dauermelancholisch und einfühlsam sind. Weil das Konzept der reinen Kunstfigur Lana Del Rey nun in jeder Hinsicht funktioniert, ohne dabei tatsächlich künstlich zu wirken. Wer sich da über die auf den ersten Blick arg devot wirkende Natur der Texte beschwert, der wird wohl auch die Lyrics einer Slayer-Platte nicht richtig zu schätzen wissen.
12. Gridlink – Longhena
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„Geschichte“ mag bei einer Band, deren komplette Diskographie locker auf eine CD passen würde, ein großes Wort sein. Und hinter Gridlink steckt definitiv eine Solche: John Chang, Überlebender der Grindgötter Discordance Axis, von denen der Staffelstab übernommen wurde, war mit ‚The Inalienable Dreamless‚ an einem der Dreh- und Angelpunkte von Grindcore im 21. Jahrhundert beteiligt, und hob mit Takafumi Matsubara Gridlink aus der Taufe, um die Welt weiterhin mit technisch schwer nachvollziehbarem, hochenergetischen Grindcore zu beschenken. Zehn Jahre und zwei Alben später sah es dann so aus, als wäre nach dem Abdanken von Nasum und Insect Warfare zumindest Gridlink neben Pig Destroyer eine konstante Instanz am Grindhimmel, bis Anfang des Jahres 2014 ‚Longhena‚ zum letzten Album unter dem Namen Gridlink gemacht wurde.
Und äußerlich könnte man von ‚Longhena‚ beinahe ein zur Ruhe gekommenes Altherrenwerk vermuten: mit stattlichen 23 Minuten fast doppelt so viel Spielzeit wie die beiden Vorgänger, gleich mehrere Songs über der magischen 2-Minuten-Marke. Eingeleitet wird ‚Longhena‚ von ‚Constant Autumn‚, mit seinem ansatzweise schief klingenden Poppunk-Intro, das sich direkt in einen Wirbelsturm aus Gekeife, Riffgestolpere und Blastbeats übergibt, die man in diesem Zusammenspiel gehört haben muss, um es zu glauben. So geben Gridlink den Ton für die folgenden zwanzig Minuten an, immer noch höher, weiter, waghalsiger als bisher schon – hier spielt eine Band die nichts zu verlieren hatte, und mit derselben Gewissheit ins Studio ging, wie der Hörer an diese Platte. Nur mit Alben wie ‚Longhena‚ sollten sich Grindbands verabschieden, mit einem gleißenden Feuersturm, der nichts als verbrannte Erde hinterlässt, gnadenlos und fast beeindruckend schön in seiner ungefilterten Aggression.
11. Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra – Fuck Off Get Free We Pour Light On Everything
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‚Rains Thru the Roof at Thee Grande Ballroom (For Capital Steez)‚ beendet das vielleicht deutlichste Mittelfinger-Album der weiterhin im Dunkeln operierenden anderen großen Band von Efrim Menuck mit gleich zwei prägenden Verweisen im Titel: an die historische Spielstätte im sterbenden Detroit einerseits, die unter anderem mit den Stooges und MC5 Hausbands beherbergten, die eben jenes Feuer entfachten, dass nun auch in dem eindeutigen Punk-Album der Formwandler Silver Mt. Zion wütet und himmelstürmende Melodien in einen rauen, rohen, krachigen Sound steckt, der vor Tatendrang und Energie permanent zu implodieren droht.
Und andererseits verneigt sich die Band vor Capital Steez, Joey Badass‚ Pro Era-Kumpel, der im Alter von nur 19 Jahren Selbstmord beging, indem er vom Cinematic Music Group Headquarter sprang – hier ein Symbolträger für das seit jeher politisch engagierte Gewissen des kanadischen Kollektivs, das natürlich auch deren siebentes Album prägt und in ‚What We Loved was Not Enough‚ explodiert, der größten und schönstmöglich erdenkbaren Apokalypse-Hymne überhaupt: „The world itself consumed/ Man, that’s the only truth/And what we loved was not enough/Even though we wanted to“ heißt es da, und „There’ll be war in our cities/And riots at the mall/There’ll be blood on our doorsteps/And panics at the ball„, während Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra so tröstend umarmen, wie vielleicht noch nie zuvor, und zur behutsamsten Urgewalt-Inkarnation ihrer Bandgeschichte werden.
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