Frontierer, Bog, Maira [10.07.2019: Venster99, Wien]

von am 11. Juli 2019 in Featured, Reviews

Frontierer, Bog, Maira [10.07.2019: Venster99, Wien]

In den überdimensionalen Fußspuren von The Dillinger Escape Plan können nur wenige potentielle Erbverwalter derart trittsicher bestehen, wie es der transatlantische Zusammenschluss Frontierer tut. Was für eine massive Urgewalt von einer Band sich Pedram Valiani und Chad Kapper da spätestens mit der 2018er-Breitseite Unloved allerdings tatsächlich geschaffen haben, wird jedoch erst live wirklich eindrucksvoll spürbar.

Hut ab, was Zirkon auf da die Beine gestellt hat: Drei hochwertige Bands (samt wunderbar designten und zudem gratis aufgelegten Tourposter) für gerade einmal 10 Euro Eintritt geboten zu bekommen, ist ein fast schon absurd guter Deal! Und dass das Venster 99 an diesem Abend deswegen auch gut gefüllt ist sehr erfreulich.
Darum die kleinen Schönheitsfehler der famosen Show gleich vorab: Earplugs am Veranstaltungsort wären eine wirklich feine Sache. Und dass der Sound absolut überzeugt (gerade bei Frontierer, die  wahnsinnig gut, weil erstaunlich diffenziert und gleichzeitig fantastisch druckvoll, dicht und irre hart zupackend klingen), hat leider einen Preis: Zum Zeitpunkt, als die Hauptband laut Timetable mit ihrem Set eigentlich bereits fertig sein sollte, hat noch nicht einmal die zweite Vorband zu spielen begonnen – der ganze Plan schiebt sich enervierend nach hinten. Was nicht nur an einem Wochentag dezent öde sein kann, vor allem, wenn man noch eine mehrstündige Heimfahrt vor sich hat.

Maira beginnen also (warum auch immer) bereits knapp 15 Minuten zu spät. Wobei erst nicht ganz klar ist, wo überhaupt die Trennlinie zwischen mühsamen Slapstick-Soundcheck und dem eigentlichen Set verläuft. Sobald die für die gesamte Kombo zu klein ausgefallene Bühne jedoch in einem atmosphärischen Nebelmeer steht, sind diesbezügliche Irritationen beseitigt – und eine ambivalente Erfahrung kann sich entfalten.
Immerhin beginnt das Quartett (oder zumindest an diesem Abend Sextett?) unheimlich stimmungsvoll im melodisch vom Postrock zum Post Metal schielenden Reverb, der praktisch ansatzlos daran erinnert, weswegen man sich einst in majestätische Genre-Vorbilder wie Mono, Envy oder Rosetta verlieben konnte. Maira können, was sie machen und zeigen insofern auch immer dann besonders einnehmend auf, wenn die tolle instrumentale Fraktion das Kopfkino auf Reisen schickt, und die energische Performance an der unbändigen Leadgitarre unterhaltsam ausartet, für explosive Spannungsentladungen sorgt.
Dass Maira jedoch mit drei verschiedenen Sängern aufwarten ist für die Musik subjektiv kaum förderlich, der Funke will diesbezüglich einfach gar nicht überspringen. Wo Gastsänger Roman zwar ein durchaus fähiger Brüllwürfel ist und der instrumentalen Katharsis zumindest eine zusätzliche Physis verleiht, gehen die Screams/Klargesänge performancetechnisch bestenfalls ziemlich beliebig unter – sind dann aber zumindest weniger nervend, als die schalen Entertainer-Versuche zwischen den Songs, die die Tiefe der Kompositionen fast schon unbeholfen konterkarieren. Am charismatischsten und wenigsten generisch funktionieren deswegen auch die rockig ausgelegten Linien von Bassist Kizzu, die dem imaginativen Wesen der Klanglandschaften durchaus entgegen kommen und den Raum originärer nutzen. Weniger wäre hier soviel mehr gewesen.

Dass das Maira-Set vom Spannungsbogen her auch um zumindest eine Nummer zu lange gewirkt haben mag, könnte auch an der kurzen Unterbrechung durch eine gerissene Gitarrensaite gelegen haben. Doch das Gros der Besucher dürfte dies alles wohl generell weniger negativ aufgefasst haben: Der Applaus für die erste der zwei Supportacts fällt keinesfalls zurüchhaltend aus, überhaupt haben sich beide Kombos hier längst ihre treuen Fanbasen erarbeitet.
Als Bog ihre Show um halb Zwölf beschließen, gibt es deswegen sogar vereinzelte Rufe nach einer (nicht stattfindenden) Zugabe. Auch in der ersten Reihe stehende Mitglieder von Frontierer sind merklich angetan vom instrumentalen Postmetal des Quartetts, der seine Welten zwischen Cult of Luna und Isis ausgelegt hat. Aus der Problematik, dass dem Genre an sich auch deutlich prominentere Bands kaum noch essentiell Neues abgewinnen können, machen Bog schließlich das beste und zeigen eine überdurchschnittlich souveräne Fähigkeit, ihr Songwriting dynamisch von purer Heavyness zu weitschweifenden Passagen wandern zu lassen, ausgefeilte Texturen zu erzeugen, wo Schwerelosigkeit tonnenschwer sein kann.
Dass dem starken Gewächs nur ein schwer exakt zu definierendes Element auf dem Weg zur wirklich herausragenden Klasse fehlt, lässt sich dann auch nicht verifizieren, weil etwas über eine halbe Stunde Spielzeit ohne jede Länge fesselnd vorbeirauscht. Und wie schon bei Maira gilt auch hier: Sich im Windschatten derart großer Referenzen zu bewegen, und dabei nicht an der Fallhöhe zu scheitern, ist an sich schon eine Leistung.
Die stellenweise angedeutete Euphorie, die vor dem Hauptact im Publikum herrscht, muss man deswegen zwar nicht bedingungslos teilen, um sie allerdings durchaus nachvollziehen zu können: Das sind zwei kompetente heimischen Vertreter der harten Spielart, die an diesem Abend vielleicht sogar mehr Besucher angezogen haben, als Frontierer an sich.

Denn auch wenn die schottisch-amerikanische Band für ihre beiden Studiowerke bisweilen überschäumende Reviews einfährt und in Szene-Kreisen verehrt wird, festigt der Abend doch auch das Gefühl, dass Frontierer bis auf weiteres offenbar eine Nischensensation abseits des Krawall-Mainstreams darstellen. Was die breite Aufmerksamkeit angeht, ist der sehr kleine aber feine Pit aus einem knappen halben Duzend austickernder und energisch abgehender Personen vor einiger relativer Teilnahmslosigkeit wohl ein durchaus symptomatisches Bild. (Dass bei anderen Tourstops außerhalb Österreichs schon auch mehr los ist allerdings auch). Dennoch: Crowdsurfing-Versuche werden im Keim erstickt, die Stimmung ist dennoch gut, die Bekritteln gibt es praktisch nichts – im Gegenteil.
Frontierer geben von der ersten Sekunde an Vollgas, hämmern ihren vetrackten Mathcore mit einer schweißtreibenden Präzision und detonierenden Unnachgiebigkeit hinaus, die ihresgleichen sucht. Die Highlights geben sich deswegen auch die Klinke in die Hand: Tunnel Jumper, Lightshow Paralysis und Fluorescent Nights machen etwa den an Dringlichkeit und Brutalität fast schon tollwütig eskalierenden Auftakt, der in weiterer Folge vor allem vom unfassbar guten The Molten Lava (ernsthaft: wie konnte diese Nummer es ursprünglich nicht auf Unloved schaffen?), dem bestialischen Gower St. und dem auslaugenden Bunsen getoppt wird. Ausfälle sucht man im kohärenten Ganzen vergeblich.

Frontierer scheinen dafür permanent über dem Maximum zu performen, haben den Outputlevel zu jedem Augenblick im roten Bereich. Valiani und Muskelpacket Kapper springen immer wieder ins Publikum, kurbeln das Tollhaus an, während Bassist Calum aus der zweiten Reihe seine Stimmbänder aufrauht, Gitarrist Dan in der hintersten Ecke der dicht gedrängten Bühne flippt. Gut, dass die perfekt aufeinander eingespielte (Sectioned-)Band stets ihren hauseigenen Fotografen dabei hat, der jede dankbare Pose der Mitglieder effizient konserviert.
Der größte Trumpf der technisch virtuosen, impulsiv mitreißenden Show ist aber nicht nur, dass Frontierer ihre Songs auf der Bühne einen noch kompromissloseren Intensitätsgrad abringen, sondern, dass die relative Eindimensionalität, die man ihren Platten durchaus ankreiden kann, live praktisch überhaupt nicht zu tragen kommt. Das einstündige (zugabenlose) Set gönnt sich bis auf wenige eingestreute elektronische Zwischenspiele zwar keinerlei Pausen, ist in einer schier wahnsinnigen Kompaktheit sowie dem tackernden Stroboskop-Wahnsinn aber gefühltermaßen trotzdem zu knapp ausgefallen, hätte noch weiter aus allen Rohren ballern können.
Der prügelnde Suchtfaktor, den bereits die zwei Frontierer-Tonträger evozieren können, er multipliziert sich auf Tour eben so sehr ins Unermessliche, bis die Nackenmuskulatur beinahe abfällt und trotzdem keine Ermüdungserscheinungen in den atemlos konditionierten Attacken aufkommen. Das ist ein Husarenritt von absoluter Energie als ebenso komplexes wie archaisches Workout, erbarmungslos fokussiert, wuchtig und agressiv auf positivste Weise.
Dass sich die Musiker hinterher zudem als enorm freundliche Zeitgenossen entpuppen und über mysteriöse Getränkespenden freuen wie nur was, spielt der Angelegenheit nach der praktisch makellosen Show nur zusätzlich in die Karten. Das ist letztendlich ein sensationeller Triumphzug, wenn auch im überschaubaren Rahmen – oder vielleicht sogar gerade deswegen. Nach solch einem exzessiven Rausch ist dann übrigens selbst eine verspätete Rückfahrt pure Nebensache. Das war immerhin eines der Konzerte des Jahres. Mindestens.

Setlist:

Tunnel Jumper
Lightshow Paralysis
Fluorescent Nights
Cascading Dialects
The Molten Lava
Exposure & Aperture
Grower St.
Unloved & Oxidized
Reprogrammed Dawn
Bunsen
Electric Gag
Bleak

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen