Godspeed You! Black Emperor – „NO​ ​TITLE AS OF 13 FEBRUARY 2024 28​,​340 DEAD“

by on 5. Oktober 2024 in Album, Heavy Rotation

Godspeed You! Black Emperor – „NO​ ​TITLE AS OF 13 FEBRUARY 2024 28​,​340 DEAD“

„NO​ ​TITLE AS OF 13 FEBRUARY 2024 28​,​340 DEAD“ hat sich das politische Engagement des kanadischen Kollektivs als Statement auf die im Kriegszustand der Welt wehenden Fahnen geschrieben. Darunter räumen Godspeed You! Black Emperor ihren Patent-Sound allerdings auf.

Das achte Album der Postrock-Band dieses Planeten verzichtet weitestgehend vollständig sowohl auf Samples, als auch auf flächige Ambiente/Drone-Passagen (wenn man den Bonus Track der Vinyl Edition ausklammert). Also auf Dinge, die entweder sowieso seit jeher auch bis zu einem gewissen Grad identitätsstiftend für die Kultur von Godspeed sind, oder aber spätestens seit ihrer Wiedergeburt untrennbar mit dem Modus Operandi der Gruppe assoziiert werden.
Dass „NO​ ​TITLE AS OF 13 FEBRUARY 2024 28​,​340 DEAD“ den so freigewordenen Raum in der bewährten Formel für eine relative Stringenz und Zugänglichkeit im Songwriting nutzt, und abseits davon alle restlichen Trademarks auf ein Podest stellt (also etwa die dramatischen Gitarren und apokalyptische Violinen im sich zuspitzenden Anstieg von markerschütternd dröhnenden Crescendi voll cinematographischer Höhen und epochaler Tiefen) führt dann über konventionellere Strukturen ohne verschachtelte Suiten zum in Summe wohl beste Album der Band seit ihrem Comeback ‚Allelujah! Don’t Bend! Ascend!.

Einem neuen Zenit im zweiten Leben also, dem man höchsten vorwerfen kann, dass im Verlauf entlang erhebender Melodien (und sich bereits live eingebrannt habender Szenen) das eine oder andere wirklich genial-ikonische, überwältigende Gänsehaut erzeugende Thema oder Motiv dann doch fehlt; dass die Platte nach 54 Minuten insofern mit dem Gefühl entlässt, nicht alles (erschöpfend genug) gesagt zu haben; und das eine Gegenüberstellung mit den ersten drei Studioalben freilich offenbart, dass Godspeed bis 2002 einfach noch einmal in einer ganz anderen Sphäre unterwegs waren als heute.
Wie schon seine direkten Vorgänger kann „NO​ ​TITLE AS OF 13 FEBRUARY 2024 28​,​340 DEAD“ insofern also eigentlich höchstens an der eigenen Vergangenheit scheitern. Und wenn dies der Fall ist, tut das Album dies auf bewegende Weise: emotional aufwühlend und ebenso tragisch erschütternd, wie mit einer Glückshormone ausschüttenden Vertrautheit.

Als monumental geduldiges Intro eröffnet Sun is a Hole Sun is Vapors wie das Erwachen eines trostlosen Wildwest-Panoramas, bevor die Gitarren in Babys in a Thundercloud in so trostloser und trauriger Lethargie schwelgend, dass man sich selbst für Godspeed-Verhältnisse in dieser Landschaft besonders verloren und einsam fühlen muss; hoffnungslos gar. Dass Timothy Herzog und Aiden Girt die Nummer salopp ins jazzige Twin Peak tänzelnd an Fahrt aufnehmen lassen, spricht früh für die oft interessante Schlagzeugarbeit der Platte. Auch für neue Verhaltensmuster angestammter Manierismen, Assoziationen an Do Make Say Think inklusive. Das ist typisch Godspeed und doch griffiger, direkter „unterhaltend„. Und anstatt eines naheliegenden Ausbruchs schweift die Band doch malerisch resignierend ab, zögert hinaus. Der späte Höhepunkt gerät dafür umso euphorisierender, befreiender und heroischerer: keine andere Band kann an sich konservative Post Rock-Züge derart zuverlässig und epochal zur Magie führen.
Auch wie Raindrops Cast in Lead (nach seinem langen, fiepend und blinkenden Einstieg, der bereits live immensen Eindruck hinterlassen hat, und nun auch in Studio-Form eine faszinierend hypnotische, beklemmende Unruhe mit feierlichem Unterton erzeugt, um sich für die einzige Sample-Einkehr des Albums zu lichten und Michele Fiedler Fuentes rezitieren zu lassen) letztendlich in den Himmel hinaus starten wird, hat man genau genommen schon unzählige Male ähnlich von der Band gehört. Das Besondere bleibt, dass das Déjà-vu auch diesmal das Same-same-but-different-Gefühl vermittelt, es mit einem individuell nur für diesen Augenblick konzipierten, exzessiven Walkürenritt in absoluter Kontrolle zu tun zu haben, der so nirgendwo anders passieren kann.

Der seltsam entrückte Suspense-Horror von Broken Spires at Dead Kapital spricht dann als klaustrophobischer Score Urängste an und besorgt im nahtlosen Übergang vor allem die Einleitung für Pale Spectator Takes Photographs, das martialisch durch eine gespenstische Welt schreitet. Der Bass-Sound grummelt misanthropisch, die Violinen beschwören eine beklommene Bedrohlichkeit: heavier war die Band selten. Das bimmelnde Sperrfeuer des Beckens im schleppenden, zähen Mühlgang ersetzt schrille Alarmglocken und lässt sich vom fabelhaften Groove in einen luzide verselbstständigte Sog führen. Gewaltig!
Und wo Grey Rubble – Green Shoots als Vorabsingle für sich alleine stehend eine unterwältigend in der Luft hängen lassende Routine zeigte, ist die Katharsis der Nummer nun, im Kontext aufgehend, eine triumphale Perfektion. Als seltsam versöhnlicher Abspann blüht die Nummer als runde Schlaufe um die vorangegangenen Reise so viel intensiver und erfüllender auf, entlässt ob des unmissverständlich verankerten Titels der Platte aber freilich ratlos, während die Linernotes von „NO​ ​TITLE AS OF 13 FEBRUARY 2024 28​,​340 DEAD“ in trauriger Poesie nachhallen.

THE PLAIN TRUTH==
we drifted through it, arguing. every day a new war crime, every day a flower bloom.
we sat down together and wrote it in one room, and then sat down in a different room, recording.
NO TITLE= what gestures make sense while tiny bodies fall? what context? what broken melody?
and then a tally and a date to mark a point on the line, the negative process, the growing pile.
the sun setting above beds of ash while we sat together, arguing.
the old world order barely pretended to care. this new century will be crueler still.
war is coming.
don’t give up.
pick a side.

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