Iggy Pop – Free

von am 17. September 2019 in Album

Iggy Pop – Free

Drei Jahre nach der überhypten Frischzellenkur Post Pop Depression muss Iggy Pop niemanden mehr etwas beweisen und geniest seine Narrenfreiheit einmal mehr auf polarisierende Art: Free zu sein bedeutet für den Mann mit Lederhaut, sich durch schrulligen Artrock und jazzigem Spoken Word zu halluzinieren.

Meine Zeit auf dieser Erde wird knapp, also muss ich ein bisschen mutiger und fordernder werden“ erklärt der 72 Jährige James Newell Osterberg Jr.e im Vorfeld – und legt als achtzehntes Soloalbum deswegen einen ebenso dunklen wie verspielten Trip vor, der den Hauptacteur selbst zum willigen Spielball der Umstände macht, sich in die Hände von Gitarristin Noveller und Trompeter Leron Thomas als federführende Songwriter begibt. Denn nach dem Stress der vorangegangenen Tour war Iggy ausgelaugt und leer, was zu einem düsteren und kontemplativen Werk unter Fremdregie führen musste. Freejust kind of happened to me, and I let it happen“ sagt Iggy über „an album in which other artists speak for me, but I lend my voice“.
Eine persönliche Ebene ist freilich dennoch keine reine Interpretationssache, ein positionierender roter Faden eher Formsache, wenn Free unter latenten Eindrücken von Pops ewigen Mentor und dessen Schwanengesang Blackstar zu stehen scheint, aber gleichzeitig den Faden der croonenden Studioalben vor Post Pop Depression und der Erzählstimme von Teatime Dub Encounters spinnt.
Pop lässt sich entlang allgegenwärtiger Bläser jedenfalls durch ein ähnliches Ambiente treiben, wie es das 2016er Meisterwerk Bowies tat, was Free ein somnambules Jazzkeller-Flair verleiht, die Ästhetik der Platte definiert und freigeistige Ideen skizzieren, die mal besser, mal schlechter aufgehen.

Einen Aufguss der als Comeback missverstandenen Homme-Zusammenarbeit gibt es dabei jedoch nie, auch wenn das tolle Loves Missing zumindest nahe ran kommt. Ein dumpfer Rhythmus und entspannte Gitarren lehnen da abgeklärt und cool in der Ecke, simpel, archaisch und von der Attitüde her unnachahmlich lässig, bevor Pop stoisch in einen chaotisches Aufbäumen taumelt.
Stattdessen leiern die 34 Minuten der Platte das Konzept konventioneller Rocksongs genüsslich aus, negieren es und verabschieden sich am Ende gar vollends davon, wenn Pop in altersweiser William Shatner-Manier (posthum veröffentlichte) Texte von Lou Reed oder Dylan Thomas rezitiert: We Are the People sinniert dann nachdenklich vor einem melancholischen Nacht-Piano und dem gedankenverloren improvisierenden Thomas, Do Not Go Gentle Into That Good Night brummgrummelt dort aufgewühlt aus dem sinistren Hall und The Dawn wummert als kalter Pulsschlag aus dem dystopischen Score, ernst und beherrscht.

Anderswo, gerade zur Mitte hin, wird klar, dass Free eine Platte ist, die im Kontrast ohne unseriösen Humor nur bedingt funktionieren kann.
James Bond groovt mit absurden Lovestory-Gaga-Spion-Texten um den dominante Minimal-Bass, später kommt ein funky Drumset dazu, das den aufgeräumten Sound in die Disco stampfen lässt, sich dann aber doch lieber für den unangestrengten Rock entschiedet und ein Trompetensolo aufsteigen lässt. In Dirty Sanchez gibt Pop dagegen den Matador in einem Film Noir-Krimi aus dem San Francisco der 80er, der sich in einen abstrusen Call and Gesponse Gang-Shout mit militärisch schreitender Haltung auslässt: Polarisierung Galore!
Zumindest hier provoziert Pop damit aber einen Bruch mit dem Gesamtgefüge, ohne stilistisch wirklich unpassend danebenzugreifen. Allerdings kurbelt er die Dynamik der ansonsten doch herrschenden Kohärenz unter dem homogenen Sound und Charakter etwas unrund an, wenn er sich spannungstechnisch zu einem flapsigen Höhepunkt aufschwingt, der ziellos in der Luft hängen gelassen wird.
Phasenweise wünscht man sich deswegen, Pop hätte eine ähnlich kompromisslose Konsequenz an den Tag gelegt wie Bowie oder Scott Walker, um Free das Gewicht und die Präzision zu geben, die angesichts einer atmosphärisch fesselnden Platte und Perspektivenerweiterung durchaus möglich gewesen wären; vielleicht wäre Free als überragende EP auf seine Stärken reduziert insofern aber auch einfach besser aufgehoben gewesen.

Nach dem die Stimmung setzenden Jazz-Ambient des Titelsongs wirkt das über die zuckende Hi-Hat raschelnde Sonali in seinem rhythmisch vertrackten Stacksen und Synthieflimmern schließlich beinahe wie aus der Radiohead-Schule, während der schunkelnde Iggy dazu elaboriert und zurückhaltend flaniert. In Glow in the Dark verfolgt ihn ein gurgelnder Bass beim Rezitieren, dahinter plätschern Effekte als Klangcollage: Sklavisch zwingenden Songwriting ist eben nicht das Ding von Free, strukturoffen halluziniert die Platte viel mehr einer immer neonfinster schimmernden Patina entgehen, verpufft aber im konkreten Fall in der Verdichtung, bevor das schöne Page nach dieser Steilvorlage als ätherische Darkwave-Ballade mit schiefer Schlagseite in den Nachthimmel trö(s)tend dort weitermacht, wo Destroyer sich für den Wohlklang entschieden hätte.
Sollte Pop hiernach also tatsächlich keine Zeit mehr für weitere Platten bleiben, wäre das durchaus mutige und fordernde Free also trotz allem und gerade deswegen ein würdiger Abspann. Indem das Album kein Interesse daran zeigt, die über den Vorgänger an Bord geholte Generation zwangsläufig zu bespaßen und die es niemandem leicht machendende, qualitativ und inhaltlich so wankelmütige Diskografie von Pop auf hohem Niveau um eine neue Wende erweitert, weil selbst eine kaum knackige Gangart keine berechenbare Milde kennt. Allerdings darf man orakeln: Gerade weil Free ein so adäquater Epilog wäre, darf man beinahe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Selbstsaboteur Pop alles andere als zur Ruhe kommt und dieses potenziell runde Conclusio zukünftig noch mühelos torpedieren wird.

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