Joe Cardamone – Holy War

von am 21. Oktober 2018 in Album, Heavy Rotation

Joe Cardamone – Holy War

So irritierend die exzessive Zuneigung von Ex-The Icarus Line-Boss Joe Cardamone für zeitgeistaffinen Hip Hop vor ein paar Jahren auch sein konnte – spätestens mit seinem Solodebüt Holy War macht sie nun sogar durchaus Sinn.

Die vielleicht größte Kunst des Kaliforniers war es hingegen womöglich immer schon, mit seiner Musik ganz offensichtliche Referenzen zu bedienen, diese durch eine latent neben der Spur zerschossene Charakteristik aber als eine gänzlich eigenwillige, durchaus originär verzerrte Perspektive auf Altbekanntes anzubieten. In den Anfangstagen seiner ehemaligen (mutmaßlich mit dem 2017 verstorbenen Alvin deGuzman unwiderruflich zu Grabe getragenen) Band The Icarus Line war das beispielsweise das Vermächtnis der Stooges – an deren späten Ausläufern wiederum das Wirken von Michael Gira, das Cardamone bis zum Schwanengesang All Things Under Heaven (2015) unter anderem zu einem faszinierenden Swans-Tribut umfunktionierte.
Holy War (an sich ein über Jahre entstandenes, 45 Songs starkes multimediales Mixtape mit konzeptuellen Hintergrund, mittlerweile auf Streaming- und digitalen Plattformen samt Videos selektiv gebündelt erhältlich – verortet sich nun explizit unter den Eindrücken des Trap, Post-Industrial, Glitch Pop, Alternative R&B und Darkwave, hat von A$AP Rocky über Kanye bis hin zur Cloudrap-Riege den Zeitgeist konsumiert – und zu seiner eigenen Interpretation von purem Computer-Pop umgedeutet: „Ariel Pink once told him that it reminded him of Beyoncé„.

Irate Amputee ist im Kern etwa eine Hip Hop-taugliche Skizze und Deadbeats arbeitet abgedämpft mit rassendelnden Maschinenbeats samt theatralischen Synthies in ungemütlich-psychotisch brodelnder Manie. Durch den griffigen Elektropop von East Side No One geistern Ad-lips, wohingegen das brütend-beklemmende Dead Before Dawn klingt, als würde Nick Cave zu hartem Death Grips-Gebolze eine delirante Predigt in Richtung Apokalypse stoßen, sich irgendwann in einen Rausch fallen lassen.
Ohnedies steckt praktisch jeder Song unter produktionstechnischen Keyboardschichten samt pluckernden Effekten und allgegenwärtigen Autotune-Freizügigkeiten, während Gitarren nur selten auftauchen – etwa im dramatisch-beschwörenden, intensiv-subversiven Finale Oneida oder dem sedativ über seinem geloopten Jessica Tonder-Beitrag flimmernden Asleep at the Heel, das traurig durch jene menschenfeindlichen Gassen eines finsteren LA im Neonlicht schleicht, in der digitalisierter Gospel ebenso nur eine vage Ahnung bleibt, wie das elektrische Saiteninstrument von Black Mountain-Meister Stephen McBean.
Und ja, das alles erwischt auf dem falschen Fuß. Doch ergibt ein ungemütlich anziehende Gebräu nach anfänglicher Irritation durchaus Sinn. Denn Holy War funktioniert jenseits aller Erwartungshaltungen absolut schlüssig. Als halluzinierender Fiebertraum mit nihilistischen Texten zwischen Drogensumpf und Beziehungsgraben, der wie nichts anderes da draußen tönt, dabei aber vor allem das nötige Material in petto hat, das auch über die verstörend-gefährliche Ästhetik hinausgehend greift: über ein unorthodoxes, aber ungemein catchy wachsendes Songwriting, das hinter der homogenen Inszenierung eine immense Bandbreite offenbart und mit hinterlistigen Ohrwürmern über die Hintertür kommt.

Der zweigeteilte Leviathan 4fG+$$ / Took the Money ist beispielsweise in Zeitlupe verschleppende, maschinelle Trance, die in einem diffusen Vocoder-Lichtermeer ersäuft und Believers könnte entschleunigte Jazzmusik im Blade Runner-Kosmos andeuten: Die Beats stolpern und die Bläser träumen vage von Hoffnung. Crown of Torn taumelt dagegen minimalistisch über seine aus dem Noise in den Ambient findenden Soundschleifen, bevor Let’s Pretend Again anmutig schön getragener, ätherischer Neo-R&B ist, durchzogen von der allgegenwärtigen, Holy War eigenen Melancholie.
Spätestens wenn Dead Before Dawn als sinisterer Industrial-Blues mit orientalisch-entrückter Pointe stapft, ist das dann aber vielleicht auch eine Manifestation dessen, was Julian Casablancas mit seinen Voidz zu wenig songdienlich halluziniert; eventuell sogar der elektronische Golem, den Mark Lanegan seit Jahren gerne beschwören würde – dass ausgerechnet die Seattle-Ikone und Cardamone-Tourbekanntschaft das Intro Rat King spricht, passt insofern wie die atmosphärestiftende Faust aufs Auge.
Chasin Bentley, das andere Intermezzo von Holy War, hätte es hingegen nicht unbedingt gebraucht – auch wenn sich viele Zeilen des plakativ-ironischen Cartoon-Interviews auf die neuerliche Verwandlung des selbstzerstörerischen Hedonisten Joe Cardamone umdeuten lassen: „This is not an experiment. This is life. The soundtrack./ …/ Serious as an heart attack!

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