Liturgy – Origin of the Alimonies

von am 5. Dezember 2020 in Album

Liturgy – Origin of the Alimonies

Origin of the Alimonies, das offiziell fünfte Studioalbum von Liturgy, ächzt natürlich wieder unter einem unsagbar prätentiösen konzeptuellen Überbau, überzeugt aber als das, was es ist: Hunter Hunt-Hendrix‚ Black Metal-Oper.

Als erstes Werk der Band (…), das „to fully integrate Hunter Hunt-Hendrix’s vision of total art, or what she calls Perichoresis, with her musical compositions“ wird Origin of the Alimonies etwa gestelzt propagiert, oder: „Influenced by kabbalah, German Idealism and French post-structuralism, the opera tells the story of a cosmogonical traumatic explosion between OIOION and SIHEYMN, a pair of divine beings whose thwarted love tears a wound from which civilization is generated, producing the Four Alimonies of the intelligible universe and the task of collective emancipation.
Und: „A meticulous and radical statement, pushing their characteristic synthesis between black metal, minimalism, experimental club music, and 19th–century romanticism to new extremes. Exploring microtonality, free improvisation, polymetric structures and Richard Wagner’s ideas of musikdrama and leitmotif, Hunt-Hendrix employs her unique “burst beat” technique to bind together the rhythmic signatures of metal, experimental club and classical music in the service of speech patterns and narrative flow.

Was all dies für eine – losgelöst vom elaborierten Konzept wahrgenommene – Rezeption bedeutet, ist seit der unnötigen, aber vielversprechenden Auskoppelung eines Segmentes von Apparition of the Eternal Church klar: Im weitesten Sinne die noch erschöpfendere Zusammenführung von kammermusikalischen Elementen (neben den regulären Erfüllungsgehilfen Leo Didkovsky, Tia Vincent-Clark und Bernard Gann stemmt inmitten eines reichhaltigen Instrumentarium um Flöten, Piano oder Harfen ein achtköpfiges Chamber Ensemble die musikalische Vision) und der patentierten Black Metal-Handschrift von Hunt-Hendrix, die wieder in so dringlichen Schüben zu eskalieren versucht, die Blastbeats ins Extrem kippend zur zerreißend gespannten Tremolo-Hysterie ballern lässt.
Bis es zu dazu kommt, lässt Hunt-Hendrix den orchestralen Rahmen allerdings erst einmal genug Raum, um sich über die bedächtig erwachende Ouvertüre The Separation of HAQQ From HAEL mit schwelgend kommunizierenden Streichern und Bläsern orientieren und ausbreiten zu können. Erste Glitches in der Grandezza drohen erst spät Unheil an.

Doch auch ein erster Signature-Ausbruch in OIOION’s Birth, dem Einstieg in den ersten von drei übergeordneten Akten, bleibt als manischer Irrsinn für Sekundenbruchteile vorerst nur eine Ahnung, noch forciert Hunt-Hendrix den Suspence mit Hang zur Psychose. Erst in Lonely OIOION, wo folkige Flöten und ein diffuser Orgelteppich als Kräftemessen interagieren, gehen die Black Metal-Trademarks typisch hyperventilierend eine abenteuerliche Symbiose ein, die Arrangements träumen in der schreienden Hässlichkeit, der tollwütigen Manie badend in wundersamer Fantasie.
The Fall of SIHEYMN kehrt nach diesem Ausbruch erst wieder zur melancholischen Einkehr mit einsamer Bläser-Nostalgie zurück, der Horror schraffiert jedoch bereits atonal klackernd aus dem Unterboden heraus kriechend: bald platzt die Avantgarde-Noise-Klang-Installation zur verzweifelten Kakophonie auf. Noch interessanter agiert SIHEYMN’s Lament, das garstig zur Elektro-Trap-Klavier-Ballade faucht, aus Bombast und Aggression wächst sogar die Tendenz zur Math-Opulenz und deutet auf die Elemente aus „minimalism, experimental club music, and 19th–century romanticism“ hin.

Dennoch hält sich der überraschende Aha-Faktor überraschend zurück – Origin of the Alimonies agiert am Ende des Tages eben primär entlang der Erwartungshaltung; ist mit 37 Minuten Spielzeit lieber gut und kompakt hörbar, als seine Agenda wirklich bis zur Erschöpfung oder aufregenden neuen Horizonten zu treiben.
Symptomatisch insofern: Nachdem der bereits veröffentlichte Part von Apparition of the Eternal Church klimpernd Spannungen aufgebaut und sich über sein Leitmotiv erstmals entladen hat, macht die vollständige Version der Nummer dort konsequent zur Decke gestreckt weiter, setzt immer wieder in Schüben zur erhebenden Triumphgeste an, um ein Erwachen am taufrischen Morgen in der Schönheit eines irren Fieberwahns zu inszenieren, obgleich das permanente (den grundlegenden MO von Liturgy auch im orchestralen Kontext geradezu formelhaft nutzende) Kratzen am harschen Limit zur Übersättigung neigt, es dem Herzstück der Platte – nominell übrigens nur ein Interlude – über 14 Minuten nicht an starken Szenen fehlt, Hunt-Hendrix aber so lange mäandert, bis martialischer polternde Drums in das von Olivier Messiaen adaptierte eingreifen.
The Armistice jubiliert danach als Epilog im dystopischen Überschwang, addiert der Platte aber nichts gravierend essentielles mehr und zeigt, dass der Rahmen des Albums an sich schnell vermessen ist, die synergetische Natur dieser Dualität (gerade in den Arrangements) grandios vermessen, aber nicht ihr volles Potential nutzt: Hunter Hunt-Hendrix kann als Songwriterin das Gewicht ihrer kreativen Vision nur bis zu einem gewissen Grad stemmen.

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