Raum – Daughter

von am 18. Februar 2022 in Album

Raum – Daughter

Neun Jahre nach Event of Your Leaving reaktiviert Jefre Cantu-Ledesma und Liz Harris alias Grouper noch einmal ihr gemeinsames Projekt Raum, um mit Daughter Abschied von Paul Clipson zu nehmen.

Daughter captures a strange time spent in the desert, later added to, edited and finally made sense of after we lost the friend we’d been there with. There are fragments of beginnings and a deep sense of loss. A requiem, a lullaby, goodbye.“ beschreibt das Duo das Zweitwerk von Raum, dessen Artwork die Stimmung des Dream-Ambient und Field Recordings-Drone übrigens ästhetisch perfekt einfängt.
Melancholisch entrückt ist das Wesen der Platte auf sanfte Weise bestürzend, auf meditative Art traurig, friedvoll somnambul. Das Kopfkino kreiert für den Hörer eine selbstreflektive, heilende Wirkung. Sehnsüchtig und still, gleichzeitig minimalistisch, reduziert und sparsam, wie auch reichhaltig und vielschichtig texturiert – mit seiner cinematographischen Dichte und imaginativen Sogwirkung vor allem ganzheitlich eintauchen lassend: „This album works best as one long piece. Each track transitions into the next without pause.

Das ätherisch verschwaschene Walk Together gibt das übergeordnete Motiv und sich Narrativ vor, forciert in sich ruhend einen Bewegungsdrang, wächst am Piano aus dem Andenken an Ruins, ausnahmsweise haucht Harris ihren Gesang, der jedoch von den Tönen umspült und assimiliert bald in andere Dimension abtaucht. Die gespenstische Aura ist anachronistisch, als würde ein alter Projektor einen halb vergilbten Film voller verblichener Erinnerungen an eine winterliche Idylle abspielen, die es so vielleicht gar nie wirklich gegeben hat. In dem Badalamenti‘esken Synth-Ambient von Restoration lassen sich über den wogenden Zeitlupen-Schwaden die funkelnden Melodien einer lange vergessenen Shoegaze-Tendenz erahnen, bevor (das so ideal betitelte) Sunlight Crying mit Sprachaufnahmen erst eine instinktive Spontanität einfängt, dann aber stellst schimmernde Postrock-Gitarren a la Godspeed pflegt. Die körperlose Grandezza ist sinnbildlich für die wunderschöne Ader der Platte – als würde man elegischen Morgentau entgegen der Schwerkraft in den Himmel hinaufregnend entschweben erleben.

Danach – und vor allem im Mittelteil des Albums – verschwimmen die nominellen Grenzen der Platte endgültig zu einem durchgehenden, großen Ganzen.
Revolving Door stapft einen Schotterweg in der Einöde entlang, bleibt in Bewegung, lauscht einem pastoral klimpernden Saiten-Windspiel und scheint erst nirgendwohin zu führen – bis das naturalistische Finale im Sonnenaufgang zwitschert, der Industrialismus sich in weit entfernten Autobahnen bewegt, man frei durchatmen kann. Das Titelstück gleitet dort als Nachhall über Lichtung voller Vögel, haucht einen Klangnebel luftig und hell, erblüht mit feierlichen Subtext erhaben, wo das fließende Wesen mit Gitarren im Reverb und Delay perlen lässt, aber auch der Marsch wieder aufgenommen wird.
Lullaby spannt danach den Bogen zum Klavierbeginn als Score-Klanginstallation zurück, als wäre Daughter ein Möbiusband, an dessen Abgründen die Hoffnung tröpfelt. Das 20 minütige Finale in Passage muß deswegen auch keinen Klimax bieten, sondern löst sich im mystischen Nexus regelrecht auf. Unheimlich fragil und sanft ist die Stille längst ein elementarer Begleiter einer (archetypischen und doch individualistischen) Wanderung, deren größte Stärke es vielleicht ist, auf entrückte Weise eine imaginative Vertrautheit zu schaffen, die etwas wahrhaftiges, faszinierendes und über die physische Präsenz hinausgehendes in sich trägt: Daughter agiert tatsächlich (mindestens) auf Augenhöhe mit den besten Ambient-Schöpfungen seiner beiden Urheber.

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