Sleep Token – Sundowning

Sleep Token liefern mit Sundowning den Pathos in der eigentlich so unverträglich sein müssenden Schnittstelle aus Art Pop, Alternative Rock, Djent und Zeitgeist-R&B, wo brachiale Gitarrenwände auf rassendle Trap-Beats und Autotune treffen.
Eine Platte also, die derart verankert zu gleichen Teilen Assoziationen zu Hozier und Tesseract, zu Imagine Dragons und den Deftones, zu Bon Iver und 30 Seconds to Mars, zu Sam Smith und Bastille und Dredg weckt.
Und tatsächlich hat Sundowning objektiv so viele Schwachstellen, die dem Geschmack zuwider laufen. Die 55 Minuten des lange hinausgezögerten, durch die beiden EPs One (2016) sowie Two (2017) adäquat angekündigten Erstlingswerks verstecken sich natürlich weiterhin hinter dem arg kalkulierten Mysterium der aus dem Black Metal adaptierten Unkenntlichkeit, praktizieren mit ihrem „Worship“-Gedöns am Reißbrett entwickelten Pseudo-Kult aus London.
Vor allem aber läuft Sundowning über vor einem cheesy Pathos und demonstrativer Theatralik, die durch die gnödelnd leiernden Leidenschafts-Intonation von Vessel – in dem Anhänger bis hin zu Geheimtipp Jordan Hunt schon alles und jeden identifiziert haben wollen – noch zusätzlich verstärkt wird, während man das Amalgam aus Mainstream-Chart-Motiven und plakativen Metal-Schattierungen schon sehr bemüht finden kann: Für sich genommen sind die einzelnen Bausteine und Ideen von Sundowning auch wirklich zutiefst generisch, wirken wie aus dem Formelheft abgepaust zusammengesetzt.
Einzig: Als Summe seiner an sich so austauschbaren Teile funktioniert das Konstrukt dann eben doch, weil seine zahlreiche Musiker und Genres (teils frech offensichtlich) adaptierende Teilstücke dabei als Amalgam so klingt, wie nahezu nichts anderes da draußen. Sleep Token agieren mit einer absoluten Selbstsicherheit vollkommen ironiefrei und sind im polarisierenden Spannungsfeld der Ambitionen entgegen aller Vorzeichen schlichtweg authentisch.
Sundowning fesselt einerseits durch das allgegenwärtige Gespür für (schmierige bis gefühlvolle, selbst das Gefühl blanker Banalität auf einen erhebenden Sockel der Bedeutung heben wollender) Ohrwürmer und aufwühlend inszenierter Hits, die andererseits vor allem durch die so dicht gesponnene Atmosphäre eine dunkler Tiefenwirkung entfaltet. Man kann sich von Sundowning theoretisch abgestoßen fühlen, sich all diesem elaboriert schmachtenden Herzschmerz praktisch aber nur schwer entziehen.
The Night Does Not Belong to God installiert gleich eingangs den MO der Kompositionen, aus balladesken Klavierstücken im elegischen Leiden das Crescendo zu suchen, wenn Synthies und Polyrhythmik das Stadionerlebnis für den aus der Steckdose kommenden Soul suchen. The Offering beginnt dagegen wie alles, was nach One More Light von Linkin Park noch kommen hätte können und packt dann ein kaum individuell bratendes Industrial-Riff aus, zu dem das Rag ’n‘ Bone Man-Motiv einen sphärisch funkelnden Metal-Abgang wie ungefährlich genießbare Deftones evoziert. Das bollernde Gods brüllt später sogar kreischend als waschechtes When Girls Telephone Boys-Imitat, bevor das Szenario in einen verträumt plätschernden Schönklang kippt.
Dazwischen folgen gallige Piano-Intimitäten a la Snow Patrol (Levitate) auf Downbeat-Stücke, die Hochachtung vor James Blake und Future mit einem Händchen für große Refrains vereinen (Dark Signs), wo die Melodie in Higher das allgegenwärtige Déjà-vu aktiviert und sich strukturell im offenen Ambiente auflöst, allerdings rumorend die Stakkato-Heavy-Kaskaden rollen lässt.
Mal orientiert sich die entschleunigte Synthetik am ätherischen R&B (Give) und mal so kristallinen Märchen-Pop (Sugar), dann wieder entlädt sich die trotz aller eklektischer Zutatenübersättigung (auch wegen den Spannungsbogen kohärent fortsetzenden Elemente wie Drag Me Under) so stimmig in sich geschlossene Rezeptur in geradezu sakral beschwörenden Kopfstimmen-Refrains wie in Say That You Will, das sich letztendlich einen Trance-artigen Djent als gemütliche Komfortzone gönnt.
Dabei stimmt die Dramaturgie und Dynamik von Sundowning stets durch klug gesetzte Akzente. Gerade Take Aim lichtet den Sound hell und mit hoher Stimme; eine erfrischend leichte Akustikgitarre in der kontemplativ perlenden Einkehr ist gefühlt das erste – und letztendlich auch einzig- organisch anmutende Element, das man auf der Platte hört. Spätestens wenn das herausragende Blood Sport mit flehender Geste das Sternenmeer über dem Arena-Himmel sehen will, ist Sundowning aber ohnedies auch ein bisschen Prinzipsache, die keiner strengen Geschmackspolizei standhalten kann – im Zweifelsfall aber mit leicht verdaulichem Gimmick der Metal-Verkleidung das Bedürftnis nach viel kitschigem Schmalz idealer befriedigen, als jede andere Guilty Pleasure-Platte 2019.
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