Taking Back Sunday – Tidal Wave

von am 20. September 2016 in Album

Taking Back Sunday – Tidal Wave

Taking Back Sunday unterziehen ihren Sound im Windschatten der frei gewordenen The Gaslight Anthem-Bresche einer so eklektischen wie revitalisierenden Frischzellenkur. Tidal Wave hätte dabei kaum ein selbstbewussterer Befreiungsschlag für die Band aus Long Island werden können .

Die Crux mit Taking Back Sunday war ja seit jeher mitunter vor allem auch die Unerreichbarkeit ihres überragenden [amazon_link id=“B0000634G4″ target=“_blank“ ]Debütalbums[/amazon_link]. Das Niveau der Nachfolgeplatten schwankte, die Band wirkte nicht selten orientierungslos. Spätestens (und ausgerechnet!) die beiden „Reunion„alben Taking Back Sunday und Happiness Is schienen die mit ihrer eigenen Vergangenheit überfordert wirkenden einstigen Emo-Hoffnungsträger dann sogar auf halben Weg zum potenten Stadionrock in der künstlerischen Bedeutungslosigkeit versumpfen zu lassen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Auch Tidal Wave hat sich diesen Drang zur großen Geste, zu arenatauglichen Feuerzeugmeer-Szenen, zu fast schon triefend kitschigen Schmonz-Ideen und hymnisch im Breitwand funkelnden Momente absolut nicht abgewöhnt. You Can’t Look Back beginnt etwa wie ein supercheessy Alternative-Ohrenschmeichler, entscheidet sich dann doch eher für einen stampfenden Hochglanz-Country Intermezzo und biegt dann in eine Richtung Pop ab, der genug Platz für stimmungsvolle Seitengassen mit epischer Intention lässt, aber letztendlich eben auch nicht weit vom Mainstream-Formatradio-Singletum seine Keule schwingt. Holy Water lässt seine Gitarren wiederum mit galliger Breite in die heisere Bresche der Kings of Leon braten, drückt einen vor Dringlichkeit förmlich platzen wollenden Refrain in eine theatralisches Plattitüde. Auch All Excess streckt sich feiernd nach U2 und Mumford & Sons, während das superknackig-infektiöse In The Middle Of It All sich irgendwann seltsame Vocoder-Stimmeffekte nicht verkneifen will.

Doch auf Tidal Wave funktionieren all diese theoretischen Geschmacklosigkeiten dann praktisch erstmals derart stimmig und rund, dass es beinahe so anmutet, als würde man erst anhand dieser 12 Songs wirklich verstehen können, wo Taking Back Sunday bereits all die vorangegangenen Jahre über hinwollten. Auf Album Nummer 7 geht die Band derart bestimmt, selbstsicher und unangestrengt in allem was sie tut zu Werke, dass sich auch Ideen, die eigentlich noch so sehr nach over the top/too much, schmalziger Konsensbrechstange und anbiedernder Geschmackspolizei schreien, erstaunlich natürlich in den mitreißenden Albumfluss einfügen und entlang eines weitestgehend erstaunlich starken Songwritings schlichtweg schlüssig funktionieren.
Beste Beispiele für den Drahtseilakt: Das reduziert-atmosphärische I Felt It Too perlt als romantisches Intermezzo und scheint nach 0815-Schema den Drama-Vorschlaghammer für den Abspann kitschiger Hollywoodfilme ala Snow Patrol aufzubereiten – verkneift sich die exemplarische Explosion dann aber eben geradezu charmant. Oder Fences, das seine luftige Akustikgitarre und käsigen Streicher Hand in Hand polternd lässt, diese an sich übersättigende Kombination aber so locker und unverkrampft serviert, dass kein unangenehmer Beigeschmack entsteht, sondern der pathetische Sog aus weinerlicher Intonation, kraftvoller Performance und exemplarischer Emotionen nahtlos unterhält.
Was primär auch der stilistischen Neujustierung des Taking Back Sunday-Sounds liegt: Tidal Wave assimiliert mehr straighten Punkrock als alle seine Vorgänger im zwischen Emocore und dickem Rock pendelnden Stilspektrum, schlägt sich von der Ausstrahlung über weite Strecken mitten hinein in die Erbverwaltung von The Gaslight Anthem und den damit verbundenen Tribut an Classic Rock Veteranen wie Tom Petty. Ein Call Come Running klingt deswegen etwa, als hätte die Band während der Happiness Is-Tour nur Highway-Rock’n’Roll der Marke Bruce Springsteen und die fetzigst aufs Gaspedal tretenden Überbleibsel von My Chemical Romance als Soundtrack gehört, und in ihr eigenes infektiöses Gespür für zündende Hits eingeimpft. Das Tempo geht nach oben, die Melodien und Hooks rauschen im Temporausch unkompliziert vorbei. Tidal Wave strotzt mit dieser eklatanten Feinjustierung vor einem erfrischenden Elan im befreiten Auftreten, der Taking Back Sunday-Oldschool-Puristen wohl endgültig abschrecken könnte, die Platte aber letztendlich mit unbändiger Energie antreibt.

Dass Tidal Wave über allen Erwartungshaltungen so unmittelbar im Sturm nimmt, liegt aber vor allem auch am geschickten Kniff um all die manchmal demonstrativ dick auftragenden Ohrwürmer eine Klammer einer bärenstarken Eröffnungsphase und Finales zu legen. Death Wolf hantiert mit der sakralen Stimmung von WU LYF, bevor der triumphale Opener als knackig attackierender Punkrock seine immense Eingängigkeit mit motiviertem Drive ausübt, vor Tatendrang förmlich zu platzen scheint, wenn Gitarrensolo und Gemeinschaftsgesang sich zu übertrumpfen versuchen: Taking Back Sunday klingen hier vom ersten Moment an wie eine endlich ausgewachsene Version ihrer selbst, die keinen Gedanken mehr an Etiketten verschwendet, sondern sich mit einer bedingungslosen Leidenschaft in ihre Songs legt und dabei keine Kontaktängste vor anderen Genres kennt. Der folgende Titelsong borgt sich seinen Vibe deswegen gleich vollends bei den Ramones und Against Me!, ist supercatchy surfender Poppunk, so kurzweilig wie energetisch und ausgelassen – ein (wohl polarisierender) Hit!
Auf der anderen Seite der Platte bläst die Band gemeinsam mit (dem etwas zu sehr auf Sauberkeit und High-End-Vollkommenheit bedachten) Produzent Mike Sapone Tidal Wave dann erst recht zu voluminöser Größe auf. We Don’t Go In There täuscht die gallige Lagerfeuer-Exkursion an, obgleich die Nummer alsbald zur wuchtigen Sportlichkeit mutiert, bevor das wunderbare Doppel aus der akustisch reduzierten, perkussiv-rhytmischen Beinahe-Gospel-Hoffnung Homecoming mit seinen erhabenen Chören sowie dem regelrecht episch aus rückwärtsgespulten Gitarren, Postrock-Reminiszensen und anmutiger Zärtlichkeit anwachsenden, überwältigend intensivierten I’ll Find A Way To Make It What You Want praktisch bereits so vieles einlöst, was man sich insgeheim erst von der baldigen Jimmy Eat World-Rückkehr erhofft hatte.

Nur dass Tidal Wave all seine Trümpfe gemessen an der Halbwertszeit ein wenig zu glatt ausspielen dürfte und lyrisch die eine oder andere Plattitüde riskiert, verhindert dann gar den blasphemischen Querverweis zu Brand New und deren Meisterwerk [amazon_link id=“B000LC4BWU“ target=“_blank“ ]The Devil and God are Raging Inside Me[/amazon_link]. Was aber trotz der Tatsache, dass das Quintett hier zu einem kleinen (…) Quantensprung angesetzt hat wohl ohnedies unangebracht wäre: Denn Taking Back Sunday haben sich – paradoxerweise gerade weil sie sich nunmehr so gekonnt in den Windschatten von vor allem The Gaslight Anthem legen – offenbar endlich selbst gefunden. Darauf sollte sich aufbauen lassen.

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