The War on Drugs – I Don’t Live Here Anymore

von am 3. November 2021 in Album

The War on Drugs – I Don’t Live Here Anymore

I Don’t Live Here Anymore macht Sesshaftigkeit zur Einstellungssache und romantisiert die sehnsüchtige Suche, wo The War on Drugs zwar in Bewegung bleiben, dabei jedoch vor allem um die Erkenntnis kreisen, dass sie ja doch schon lange angekommen sind. Spannend ist das nicht – aber verdammt befriedigend.

Adam Granduciel will (und, um es vorwegzunehmen, wird auch) niemanden verprellen, der erst durch Lost in the Dream auf The War on Drugs aufmerksam wurde. Noch einmal mehr oder minder dasselbe Album von 2014 aufzunehmen kann er nach A Deeper Understanding von 2017 dann aber auch nicht unbedingt bringen, soviel ist klar.
I Don’t Live Here Anymore ist deswegen entlang eines wirklich absolut grandiosen (wohl aber zu laut gemischten) analogen Sounds sowie einer generell etwas kompakteren (nicht aber unbedingt immer direkteren) Gangart manchmal ein vorsichtiges Modifizieren der bekannten Komfortzone geworden, eine neuerliche phasenweise Feinjustierung des vertrauten Eklektizismus durch ein paar wenige frische Impulse – gerade im Mittelteil von I Don’t Live Here Anymore.

Dort klingt das schöne Change mit kristallinem The Smiths-Jangle etwa, als würde Don Henley zum ersten Mal Real Estate hören und dann am Baywatch-Strand klimpern. In I Don’t Wanna Waitwird die Drummachine ganz ungeniert a la In the Air Tonight programmiert und die ätherischen Vocals mit Effekten leicht verfremdet entrückt, bevor Granduciel in typische Verhaltensmuster verfällt. Victim verschiebt das Spektrum dort übernehmend ein bisschen weiter in den pluckernden Wave Pop mit wunderbar sedativer Dramatik, drückt in der zweiten Hälfte aber aufs Gaspedal und verabschiedet sich später mit der Mundharmonika, bevor der Titelsong wie ein Instant-Ohrwurm-Hybrid der Evergreens Boys of Summer und Bette Davies Eyes samt flimmernden Doogie Howser-Synthies wirkt, dem gospeligen Backgroundssouldamen sowie ein funky Pop-Sänger namens Lucius spendiert werden.

Dass Granduciel seine Band auch in diese Szenen primär absolut verlässlich abliefern lässt, ist Tugend und Zankapfel gleichermaßen, wenn die Grenze zwischen Kitsch und Tiefe, Stagnation und Formvollendung in der Wohlfühlzone aus Heartland- und Softrock schwindende Definitionssache ist.
Essentieller ist allerdings, dass das Signature-Songwriting (wenig überraschend gestemmt von einem stoischen Bass, monoton-motorischen Drums, sehr einfachen – aber effektiv einnehmenden – Gesangslinien mit den gefühlt immer gleichen Phrasen und Schlagwörten samt den altbekannten Referenzen Chris Rea, Bryan Adams, Bob Dylan und Bruce Springsteen) nicht ganz so stark wie auf den beiden Vorgängeralben ausgefallen ist – obgleich sich I Don’t Live Here Anymore hinterrücks doch noch zu einem angenehmen Grower entwickeln wird.
Dennoch fehlt diesmal der schwerlich exakt zu definierende Funke Magie, es gibt erstmals keinen wirklichen Übersong, aber viele Déjà-vus, weil Granduciel seine Motive aus einem, wie mittlerweile längst klar ist, überschaubaren Pool aus Ideen fischt. Vor allem als Ganzes funktionieren die 53 Minuten jedoch erstaunlich stark und rund.

Living Proof tastet sich vorsichtig in diesen Fluss hinein, als zurückgenommene und ruhige Introspektive aus Klavier und Gitarren sowie sanfter Percussion, eine nostalgische Melodie findend, die man seit Kindheit an zu kennen, aber seitdem vergessen zu haben meint: Unaufgeregt verträumt ziehen The War in Drugs in die Aura der Platte und finden hinten raus gar ein Wilco‘eskes Gitarrensolo. Der Tribut Harmonia’s Dream ist dagegen eine der typisch flotten Nummern der Band, straight durch die 80er mit funkelnden Neonsynthies ziehend, obgleich die Aufbruchstimmung und Euphorie diesmal eben begleitet, anstatt zu überwältigen. Auch das ebenso zügige (und die Gitarren von Crush borgende) Wasted ist vor allem ein solider Standard, den man so schon oft besser von der Band gehört – sympromatisch für die im Uptempo gebauten Nummern.
Die heimlichen Helden der Platte sind insofern (obgleich freilich auch durch und durch „selbst“referentiell) die ruhigen, regelrecht unscheinbaren Stücke, die gerade das finale Drittel mit einem gewissen Understatement nach Hause spielen. Old Skin als melancholische Einkehr und stille Kontemplation einer ambienten Piano-Ballade, die am Scheideweg zur Langeweile zum Boss stampft etwa, oder Rings Around My Father’s Eyes, diese wundervoll schwelgende Schönheit, getragen und entschleunigt, als intimes Highlight des Albums, bevor das gefällige Occasional Rain elegisch in der melodischen Seligkeit badet: The War on Drugs verwalten ihre Trademarks einmal mehr erfolgreich, indem sie ambivalente Eindrücke der Ernüchterung mit der schlichten Zufriedenheit aufwiegen, sich in diesen zehn Songs wahrhaft geborgen fühlen zu können.

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