Turnstile – Never Enough

von am 11. Juni 2025 in Album

Turnstile – Never Enough

Dass Turnstile noch weiter durch die Decke in den Hype-Himmel gehen, ist schon nachvollziehbar, hat die Band mit Never Enough doch nichts anderes als ein noch ausgiebiger in die Kurven gelegtes Update ihres 2021er-Konsensalbums Glow On aufgenommen. 

Während die Baltimore-Gang durch die neuerliche Steigerung der Erfolgsformel damit wenig überraschend exakt die Platte aufgenommen hat, um den Feuilleton mit einer vorhersehbaren Zuverlässigkeit in Verzückung zu versetzen, gibt es subjektiv so viele Punkte, die Never Enough direkt entlang der durch die Vorabsongs geschaffenen Erwartungshaltung tatsächlich jedoch im bisher unspannendsten, risikofreiesten Turnstile-Album münden lassen.
Das beginnt damit, dass der Titelsong-Opener als Instant-Pop-Ohrwurm und Midtempo-Hardcore, der auch in H&M-Fillialen zu gefallen wissen dürfte, in einen ambienten Rahmen gesteckt wird, was die Spielzeit bereits zum Einstieg atmosphärisch, aber auch weniger zwingend funktionierend aufbläht – und endet nicht damit, dass die Platte sich am anderen Ende und latent zu langen 45 Minuten über den Keyboard-Flächen-Abspann Magic Man nach einigen bisweilen redundanten Song-Outro-Appendixen (wie beispielsweise in Look Out For Me, das als Hybrid aus I Care und Dull einen Gutteil seiner fast siebenminütigen Spielzeit als ätherisch pumpender Club-Remix in der Chill Out-Lounge döst) nebst dem Space-Station-Fahrstuhl-Muzak-Interlude Ceiling stimmig aus einem dynamisch schön balancierten Werk verabschiedet, das zu einem keineswegs interessanteren, aber mittels einer forcierten Kompaktheit packenderen Album destilliert hätte werden können, während die von Frontmann Brendan Yates produktionstechnisch polierte Ästhetik eines zu gleichförmigen Sounds dem keineswegs schadet.

Dazwischen stehen jedoch, und das ist die eigentliche Achillesferse dieses Viertwerks, Songs, die praktisch ausnahmslos wie formelhafte Variationen von bereits bekanntem Material anmuten: Man kennt selbst beim Erstkontakt gefühlt bereits jedes Element der Platte. Manchmal von anderswo – etwa, wenn das poppig-lethargische, angenehm catchy mit Dev Hynes und Hayley Williams in die 80er schielende Seein’ Stars kurzerhand The Police mit einem irgendwann schlicht langweilig werdenden Schlagzeugbeat für das Formatradio kopiert oder sich Time Is Happening die Gesangslinie von Jeff Rosenstock für einen Punkrock-Singalong als Blue by You-Fortsetzung für die Nostalgie bittersüßer Melancholie borgt.
Meistens aber kennt man die Ingredienzien längst auch von Turnstile selbst. Praktisch alle Melodien und Rhythmen, die mitunter generischen Riffs und das melodiöse Geplänkel in schmissiger Eingängigkeit bis hin zu dem übersättigen könnenden, allgegenwärtigen Hall auf den Vocals hat man so schon auf Time & Space (2018) und dessen verwässerten Aufguss Glow On (2021) – nur eben besser und ambitionierter.

Deswegen wirken weite Strecken von Never Enough wie mit der Schema-F-Schablone gezogen, solide und reizarm, unspannend und kaum aufregend.
Was allerdings erstaunlicherweise wiederum nur in einigen wenigen Fällen auch tatsächlich zu leeren Metern führt: Light Design ist nur ein gefälliger Füller im angenehmen Fahrtwind, Dull konstruiert mit Unterstützung von A.G. Cook die tickende Zeitbombe aus Lauerstellung und Explosion dermaßen vorhersehbar am Reißbrett, dass ungeachtet der Tatsache, wie effektiv diese gerufene Ohrwurm-Hook live zünden wird, offenbar irgendwann nichts anderes mehr einfällt, als am Sender-Rad zu drehen. Birds arbeitet als souveräner Malen-nach-Zahlen-Standard am Gaspedal und Slowdive macht es sich als ermüdend repetitiver Riffrocker einfach viel zu einfach – und trotzdem hält sich auch das, was ein Doppel aus belanglosen Abziehbildern sein müsste, hartnäckig in der Wiedergabe.

Die meiste Zeit über aber spielen Turnstile über all diese Mankos nämlich kurzerhand hinweg, indem sie ihre größte Tugend in die Waagschale werfen: Das noch ein Stück weiter in das Pop-Spektrum verschobene Stil-Amalgam der Band macht einfach Spaß, unterhält auch ohne zu Abenteuer und Erkundungspotential. Gerade im ersten Viertel der Platte.
Sole baut seine Spannungen dort kompakt nach Lehrbuch auf und galoppiert flott dahin, sorgt ohne jedwede Gatekeeping-Mentalität für Bewegung im Pit, indem alle Aggressivität optimistischen Endorphinen weicht und selbst ein Breakdown ein ansteckend freudiges Momentum generiert. I Care streift kompositorisch gleichgültig niemandem wehtuend zwischen den Smiths, Strokes und Weezer in den Sommer. Wenn Dreaming den Tembo recycelt kann man sich der guten Laune der Bläser kaum entziehen, derweil Sunshower zügigen Punkrock mit flotten Backingchören und eiligem Kerosin einfach kann – selbst wenn der Nummer zur Mitte hin die Puste für eine weitere Ambiente Ruhepause ausgeht. Das esoterische Flötenspiel dort wird als Gimmick aber wohl nicht nur Speed gefallen.
In Momenten wie diesen besticht der Umstand, dass Turnstile und ihre Alben zwar immer größer auftreten, sie immer breitere Massen in teurer werdenden Locations anziehen, das (mit Gitarristin Meg Mills ohne gravierende Auswirkungen neu besetzte) Quintett dabei aber als natürlichste Sache der Welt nicht den Bezug zu ihrer Basis verliert. Never Enough ist damit subjektiv nicht das Album, das all die entfachte Euphorie und den um seine 45 Minuten entstandenen Hype durch die aufgefahrene Substanz stemmt – aber eines, dass ihn als Summe seiner Teile im Verbund mit den Begleitumständen durchaus rechtfertigt und  verdient.

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