Van Morrison – Remembering Now

Workaholic Van Morrison veröffentlicht endlich wieder neues Originalmaterial. Remembering Now ist passend dazu als durch und durch würdiges Alterswerk sein bestes Studioalbum seit… sehr langer Zeit!
Obgleich man sofort wieder darüber schwärmen kann und darf, was dieser (polarisierende) Mann auch im Alter von 79 Jahren noch für eine unfassbar tolle Stimme hat, gibt es nichtsdestotrotz einige markante Punkte, die man an seinem 47. Soloalbum kritisieren muss.
Remembering Now ist mit mit 68 Minuten Spielzeit zuallererst merklich zu lange ausgefallen, hätte hier und da deutlich gekürzt werden oder – wenngleich ausfallfrei – sogar auf den einen oder anderen Song verzichten können.
Das Doppel aus dem tollen Haven’t Lost My Sense of Wonder (ein nostalgischer Standard, der sich wie wirklich alle Songs auf einen eingängigen, melodisch nachhaltigen Refrain verlassen kann) und (dem mit sentimentalen Kitsch-Streichern schunkelnde) Love, Lover and Beloved etwa bewegt sich, exemplarisch für die pure, überraschungsarme Komfortzone der Platte, angenehm gefällig und harmlos zu ausführlich abschweifend, jedoch weit abseits der Redundanz. Das beinahe siebenminütige Memories and Visions wiederum geht in seinen Arrangements sentimental erblühend voller Grandezza auf, findet den Eskapismus in der Romantik und trägt dort dick auf, wo es eventuell auch Leonard Cohen gefallen hätte – nur gerät die Nummer dort zur nicht auf den Punkt findenden, dezent auslaugenden Nabelschau, wo jedes Stück des Albums mit über 5 Minuten Spielzeit ein wenig Maß und Ziel vermissen lassen.
Wie geschmeidig das kompakte Colourblind dagegen relaxt, ist durchaus ein umgekehrt proportionales Mahnmal dafür zu verstehen.
Dem folgend zeugt die Inszenierung mit all seinen weichen, souligen Arrangements, smoothen Bläsern und eleganten Backing-Chören allgemein von viel Gefühl und Klasse. Doch stricken die genormt abgespulten Ausschmückungen die Substanz dahinter auch zu gleichförmig, praktisch alles wird zu indifferent auf dieselbe genormte Weise umgesetzt.
Mancherorts – wie beispielsweise vor allem im mit Fidel und knappem Saxofon-Solo vage den relaxten Bluesrock und folkigen Americana anpeilenden Cutting Corners oder noch mehr dem einfach wunderschönen Herzstück The Only Love I Ever Need Is Yours, das mit einer sparsameren Interpretation noch bezaubernder und ergreifender geraten hätte können, wäre (ausgerechnet in den beiden zufällig auch kürzesten Nummern der Platte) Weniger manchmal Mehr gewesen, um das Material individueller zu akzentuieren und das volle Potential abzuschöpfen.
Denn mag man sich als größten gemeinsamen Nenner dieser Umstände auch darauf einigen können, dass Van Morrison grundlegend noch mehr aus dem Material herausholen hätte können, wenn er einen externen, den Fokus schärfenden Produzenten engagiert hätte, wächst sich Remembering Now ohne Ausfall durch so viele fabelhafte Song dennoch zum klar besten Album des Iren seit mindestens zwei Dekaden aus.
Das beginnt beim 2021 Oscar-nominieren Opener Down to Joy, hinter dem sich die Highlights die Klinke in die Hand geben: das simpel gestrickte Mantra Back to Writing Love Songs entlang seiner dezenten Percussion ist das ausgewiesene Sinnbild dafür, wie Morrison als Songwriter zum zeitlosen Kern der Dinge und seinen angestammten Stärken zurückgefunden hat – dass er dazu fünf Jahre nach Why Are You On Facebook noch fähig zeigt, ist nichts weniger als ein kleines Wunder.
In diese Kategorie zählt auch der beschwingte Ray Charles-Tribut If It Wasn’t for Ray als ein vor Spielfreuede flott tänzelnder Hit mit Gemeinschafts-Charakter, Bar-Geklimper und Orgel-Schmiss in den Western-Texturen, sowie die geschmeidige Nostalgie Once in a Lifetime Feelings, die das Instrumentarium gar kurz aufzeigen lässt. Stomping Ground oder das erhaben croonende Titelstück sind behutsame Denkmalpflegen im allerbesten Sinne. Und When the Rains Came (das die Backingchöre ausnahmsweise männlich gewichtet) sowie (der sein eindringliches Streicher-Motiv repetierende, wie eine mystische Meditation angelegte Closer) Stretching Out reklamieren sogar, ohne die Magie ikonischer Meisterwerke zu beschwören, unbedingt in den Kanon der Post-70er-Klassiker von Van Morrison aufgenommen werden zu müssen – sie thronen schließlich auf einem Album, das dem Vermächtnis dieser schwierigen Legende würdig ist.
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