Wilco, William Tyler [14.11.2016: Museumsquartier, Wien]

von am 15. November 2016 in Featured, Reviews

Wilco, William Tyler [14.11.2016: Museumsquartier, Wien]

Die überwältigende Magie bleibt vielleicht aus, doch der großen Klasse dieser Institution tut das freilich keinen Abbruch: Wilco überzeugen im sehr gut gefüllten Museumsquartier auch auf der Tour zu einem ihrer schwächeren Studioalben anstandslos.

Zum Finale gibt es passenderweise Woody Guthries California Stars: Während der laufenden Schmilco-Worldtour ist die durch die jüngsten Prösidentschaftswahlen erschütterte Heimat Wilco eben doch ein klein wenig fremder geworden, wie der zur Nächstenliebe aufrufende Jeff Tweedy dann doch irgendwann erwähnen muss. Ganz unpolitisch geht eben selbst für ihn in Zeiten wie diesen nicht. Und Zeilen wie „Hate everything I don’t understand/Hard times tightening the lid/I had to get away from those normal American kids“ klingen da gleich noch ein wenig bissiger. Das beste, was man an diesem Abend also wohl machen könne, ist die Macht des Rock zu genießen, sagt Tweedy. Und seine Band rockt.
Auf der Bühne steht neben den sechs Wilco-Männern während der zweiten und letzten Zugabe der [amazon_link id=“B0072X2NHQ“ target=“_blank“ ]Mermaid Avenue[/amazon_link]-Erinnerung übrigens auch William Tyler. Der mitunter bei Lambchop angestellte Gitarrist aus Nashville hat mit seinen unheimlich schönen, aber auch herausfordernden Fingerpicking-Epen den Abend in dem als Konzertlocation nicht nur stilvoll daherkommenden, sondern auch mit einem guten Sound überzeugenden (leider nur zu stark klimatisierten) Museumsqartier ungefähr zwischen James Blackshaw und der Ryley Walker/Bill MacKay-Kollaboration eröffnet – absolut überzeugend und mit imaginativer Klarheit. Gerade die finale Loop-Odysee gerät dem 36 Jährigen nach dem eröffnenden Akustikgitarrentrumpf gar bezaubernd träumend.

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In den Betrieb der Hauptband fügt sich der Könner am anderen Ende der Show dann auch nahtlos ein: Mit 3 Gitarren und einem Banjo, von denen beinahe jedes Instrument ein Solo bekommt, bevor sich Cline und Tyler nach dem Wunsch und zur regen Freude von Tweedy gegenseitig in den Himmel spielen, entlassen Wilco mit California Stars ein dankbares Publikum, das wohl gut und gerne noch weitere zwei Stunden an den Lippen der Band und ihres manchmal dezent linkisch daherkommenden Anführers gehangen wäre.
Und das, obwohl erst kurz davor bei (ausgerechnet!) Spiders (Kidsmoke) doch noch die Dämme gebrochen sind und sich die Zuhörerschaft zu „Babababa„-Mitsingaktionen animieren hat lassen. Trotz aller Begeisterung bleibt jedoch in Summe der Eindruck eines dezenten Distanzgefühls: Zwar wird jeder Song vom Publikum absolut frenetisch und teils minutenlang gefeiert, so dass die Band selbst sichtlich gerührt durch diese Euphorie auch immer weiter zu schrulligen Sympathen mit humoristischen Anflügen auftaut – aber etwa die angedachten Publikumspassagen  im unsterblichen Romantik-Evergreen Jesus, etc. wollen dann eben doch nicht wirklich funktionieren.
Macht nichts. Es ist nämlich nur auf den ersten Blick eine etwas starre, letztendlich aber nur absolut konzentrierte Form der Aufmerksamkeit und Wertschätzung, mit der das Publikum dieser Band begegnet, die sich in perfekt einstudierter Makellosigkeit in ihre Songs stürzt, sich jedoch keine Sekunde an gemütlicher Bequemlichkeit gönnt, und so präzise agierend jeden Ansatz von Routine und Altersmilde gekonnt mit einem zusätzlichen Plus an Energie mitreißt. Dieses grandios spektakuläre Understatement-Spektakel saugt die anwesende Menschenmenge eben akribisch auf und genießt andächtig, worum es an diesem Abend eigentlich geht: Unwerfend hochklassige Songs, dargeboten von sechs technisch unheimlich versierten Musikern – und den Spaß, den soviel versammelte Virtuosität in Summe zwangsläufig mit sich bringt.

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Nachdem Tweedy und Zaubergitarrist Cline den Gig im Alleingang eröffnen (Normal American Kids) entspannt sich also ein wildes Potpourri durch alle Bandphasen, das auch kurze technische Probleme in You Are My Face nicht aufhalten können. Die verrückte Avantgarde-Kakophonie von I am Trying to Break Your Heart geht da anstandslos über in den vertrackten, ausgelassen tanzenden Kraut-Beat von Art of Almost (die Märchenwald-Bühne wird da zudem in tolle Lichteffekte getaucht und Glenn Kotches Drums donnern imposant in die Magengrube, bis Cline kein Halten mehr kennt und man sich zum wilden Husarenritt hochschaukelt). Pickled Ginger gerät gar punkig und die letzten Momente des majestätischen Misunderstood verglühen dafür entgegen aller Erwartungen absolut intim und leise. Noch gefinkelter ist Via Chicago, das seine Muskeln spielen lässt, indem Cline und Kotche dreimal wie vom Teufel besessen frejazzend auszucken dürfen: Beim ersten Mal spielt die restliche Band so zärtlich schunkelnd weiter, als wäre nichts passiert; beim zweiten Mal nehmen Wilco den eruptiven Schwung der Beiden mit und rocken geschlossen im Kollektiv wuchtig los; und nach dem dritten lärmenden Krawall-Exorzismus kuschelt man sich nur noch zu Tweedy, seiner so warmherzig streichelnden Stimme und einer Akustischen.
Reservations öffnet dann den Sternenhimmel auf der Bühne (auch wenn Kotche sich mit all seinen Verzierungen etwas aufdrängt), Impossible Germany ist die über allen Erwartungen explodierende Cline-Show: Furios und bis in den Zehenspitzen vibrierend soliert der jugendlich gebliebene Gitarrenmeister sich zum emotionalen Wirbelwind. Danach will sich das Publikum kaum mehr einkriegen, bis Tweedy augenzwinnkernd ein lakonisches Machtwort spricht: Man soll doch lieber den nächsten Song aus dem fast schon aufgebrauchten Sad Song- Repertoire genießen. Gesagt, getan. Spätestens mit Happiness ist dann auch wirklich der Punkt erreicht, an dem Tweedys Gesprächigkeit Feuer gefangen hat, kleine Witze wie von selbst aus dem Mann sprudeln. Dann ist der abendliche Reigen nicht nur ein nach Superlativen verlangendes Schaulaufen einer nonchalant ihre Genialität abklopfende Weltklasseband, sondern schlichtweg unterhaltsam bis zum Anschlag.
Wünsche bleiben so in weiterer Folge kaum offen: Ob Box Full of Letters mit der Lässigkeit eines Classic Rock-Evergreens daherkommt, Dawned in Me seine Gitarren imposant ausführt, oder Random Name Generator mit extra viel Power arbeitet – Wilco liefern anstandslos ab, zu jeder Sekunde. Trumpfen auf, stellen zufrieden, entzücken, bewegen, berauschen. Und erschaffen damit eine zeitlose zweistündige Blase, in der die Welt in all ihrer herzerwärmenden Melancholie tatsächlich ein Stück weit besser erscheint.

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Setlist:
Normal American Kids
If I Ever Was a Child
Cry All Day
You Are My Face
I Am Trying to Break Your Heart
Art of Almost
Pickled Ginger
Misunderstood
Someone to Lose
Pot Kettle Black
Via Chicago
Reservations
Impossible Germany
Happiness
We Aren’t the World (Safety Girl)
Box Full of Letters
Heavy Metal Drummer
I’m the Man Who Loves You
Hummingbird
Dawned on Me
The Late Greats

Encore:
Jesus, Etc.
Locator
Random Name Generator
Spiders (Kidsmoke)

Encore 2:
California Stars

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