Wilco – Schmilco

von am 15. September 2016 in Album

Wilco – Schmilco

Wilco kultivieren auf ihre alten Tage eine angenehme kurzweilig aus der Hüfte geschossene Spontanität und servieren mit Schmilco quasi den akustisch reduzierter zu Werke gehenden Zwilling zu Star Wars.

Wie der (von der Allgemeinheit offenbar seltsam ungeliebte) 2015er Vorgänger reklamiert nun auch das zehnte Studioalbum von Jeff Tweedys Institution, dass Wilco auf ihre alten Tage neue Tugenden wichtiger sind, als weiterhin die so wunderbare Zuverlässigkeit der zielsicher abliefernden Wilco (the Album) und The Whole Love zu bedienen: Noch mehr Humor (wieder einmal in der tributverdächtigen Titelwahl und der so bissig-amüsanten Verpackung) vor der dennoch allgegenwärtigen Melancholie, eine gewisse Kurzweiligkeit in der Aufbereitung der Gedankenschwere und eine immanente Unangestrengtheit im Songwriting. Kompaktheit und Schnörkellosigkeit sind da Schlüsselworte, Subversivität, Prägnanz und Spontanität andere. Was eben auch bedeutet: Es müssen nicht mehr zwangsläufig Übersongs und demonstrativ ausholende Geniestreiche sein, keine überragenden Experimente oder erschlagende Mammutalben – dass die Meisterwerke der Band wohl bereits geschrieben sind, weiß nicht zuletzt Tweedy selbst.
Primärziel bleibt deswegen bis auf weiteres den aktuellen Output der Band frisch zu halten; neue Ansätze zu finden, um keine Langeweile oder Routine aufkommen zu lassen. Auch, wenn das für Schmilco paradoxerweise bedeutet das Tempo herauszunehmen, das Instrumentarium zurückzufahren und einen reduzierten Ankerpunkt zu finden, der so absolut an die Gangart von [amazon_link id=“B00LOZ9NY4″ target=“_blank“ ]Sukierae[/amazon_link] erinnert. Schnell ist die Erkenntnis bei der hand: Auch eine gewisse Zurückgelehntheit kann neue Impulse nach vorne bringen.

Schmilco ist kontemplativ und ruhig, zwar straff in seiner Ausrichtung, aber beherrscht und zurückhaltend im Auftreten. War Star Wars das simplizistische Rockalbum der Band, ist Schmilco das entspannt grübelnde, subtil plätschernde Akustik(nicht Alters)werk. Innerhalb knapp eines Jahres legen Wilco so zwei Veröffentlichungen vor, die in der Veranlagung vereint, aber durch die stilistische und soundtechnische Intention getrennt sind. Die beiden Platten fühlen sich dennoch wie die beiden Seiten einer Medaillean , wie ein nach der Geburt getrenntes Doppelabum.
Am deutlichsten wird diese Nahverwandschaft im energisch beschwörenden Locator, dem störischen Rumpler der Platte, der immer noch wie ein Star Wars-Song mit weniger Elektrik unter der Haube klingt. Typisch auch für den aktuellen Status Quo, dass die Band diese Nummer früher wohl mit ernster Miene in andere Sphären getrieben hätte – heute bleibt im Grunde ein kurzes, genügsames Aufflackern der typischen Wilco-Klasse, schon ist die ohne jedes Fett auskommende Exkursion praktisch wieder vorbei, im Grunde sogar, bevor das gesamte Potential abgerufen wurde. Marke: Raus damit – denn wer rastet, rostet.

Ein anderes Symptom des unkomplizierten Minimalismus, den Tweedy seiner Band derzeit auferlegt: Gitarrengott Nels Cline tritt soweit in den Hintergrund, wie bisher noch nie bei Wilco. Nur in dem mit psychedelischer Schieflage torkelnden, hypnotisch stacksenden Common Sense oder dem gefällig seinen tollen Refrain mit launiger Gitarrenarbeit auspackenden Juwel Someone to Lose zieht der frickelnde Cline die Aufmerksamkeit auf sich, unterstützt ansonsten aber überwiegend in der zweiten Reihe so berauschend wie zurückhaltend und bedient primär mit heulender Formvollendung die filigran fragmentierten Akzente in den Texturen und der Atmosphäre – zum Austoben im Rampenlicht hatte der Virtuose ja erst unlängst sein eigenes Doppelalbum [amazon_link id=“B01GRZZV2S“ target=“_blank“ ]Lovers[/amazon_link]. Man muss also schon genau hinhören, um Clines Spiel im Instant-Ohrwurm If I Ever Was a Child hinter dem Besenschlagzeug und sympathischen Elan  funkeln zu hören, während man darüber staunt, dass da plötzlich einer dieser Songs ist, die unmittelbar den Gehörgang infizieren ohne zu überrumpeln, aber einem auch in den dunkelsten Stunden ein zuversichtliches Lächeln abringen.

Es ist generell genau diese lockere Fähigkeit unscheinbaren Fingerübungen eine große Klasse und tröstende Wärme zu verleihen, die Schmilco letztendlich auszeichnet und einige potentielle neue Lieblingssongs abliefern könnte: Das lethargisch vorbeiziehende Folkkleinod Normal American Kids eventuell, in dem Tweedy mehr oder minder alleine mit seiner Gitarre aus der trögen Alltagsmasse hervorzutreiben versucht; oder das flott galoppierende Cry All Day, in dem die Dinge wie so oft auf Schmilco auf den ersten Blick viel fröhlicher wirken, als sie letztendlich sind: „And I cry, cry, cry/Cry all day/…/I sing and I stall/I fall on the knife„. Auch das so traurige Happiness, das wie von seiner Niedergeschlagenheit gelähmt in die Schnittmenge aus Aimee Mann, Jon Brion und Cat Stevens driftet („So sad it’s nothing/Happiness depends on who you blame„); Quarters, das seinen schläfrigen Bass um eine nicht umträge Rhythmus- und Percussionsektion baut und justament dann, wenn das Szenario doch zu einem Ausbruch entschlossen scheint noch friedfertiger und introvertierter in ein elegisches Country-Ambientmeer kippt; Der relaxte Flüsterer Shrug and Destroy, trägt die DNA großer Wilco-Herzensbrecher in sich, vage Streicherarrangements und ein gefühlvolles Fenrsehgarten-Pianospiel bleiben aber das einzige Zugeständnis an jedes Breitbild; Oder eben reinster Seelenbalsam wie das zärtlich dahinlaufende Tränengerüst Just Say Goodbye.
Dass Tweedy es sich dabei stellenweise etwas zu bequem zwischen den Polen Lennon und Dylan  einrichtet (vor allem im munter schunkelnden Nope, das sich zu sehr Middle of the Road gibt oder dem oberflächlich unbekümmerten, dahinter aber bedrückenden We Aren’t the World (Safety Girl)), macht Schmilco nur zusätzlich zur vielleicht angenehmst nebenbei zu konsumierenden Platte der Wilco’schen Bandgeschichte. Was in diesem Fall nicht unbedingt negativ zu verstehen ist. Gemütlichkeit sollte eben nicht mit Bequemlichkeit verwechselt werden, ein Spektakel hat diese Ausnahmeband schlichtweg nicht mehr nötig. Zumal die Dualität aus musikalischer Wohlfühl-Zone und textlicher Abgründigkeit auch für genügend langfristige Spannungen sorgen wird und man sich daneben notfalls immer noch auf die Idylle verlassen kann, sich auf jedem Album dieser musikalischen Ausnahmeerscheinung per se heimelig und geborgen zu fühlen.

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