Brittany Howard – Jaime

Dass Brittany Howard das für ihr Solodebüt zusammengetragene Material abseits ihrer veritablen Stammformation veröffentlicht, macht durchwegs Sinn: Die persönlichen und auch pflichtscheuen Perspektiven von Jaime verlangt experimentelle Freiheiten jenseits der Alabama Shakes.
Vier Jahre sind seit Sound & Color, dem wunderbaren Zweitwerk der Grammy-geadelten Bluesrock-Senkrechtstarter Alabama Shakes mittlerweile bereits vergangen. Trotzdem nimmt sich deren Aushängeschild Howard unmittelbar nach ihrem 30. Geburtstag erst einmal die Zeit und den Raum, um eigene Altlasten abzubauen und den Kopf freizubekommen: „I dedicated the title of this record to my sister who passed away as a teenager. She was a musician too. I did this so her name would no longer bring me memories of sadness and as a way to thank her for passing on to me everything she loved: music, art, creativity. But, the record is not about her. It’s about me. (…) I wrote this record as a process of healing. Every song, I confront something within me or beyond me.“
Als primär von Howards anbetungswürdiger Stimme zusammengehaltenes Songsammelsurium streift Jaime so durch Themenfelder der Religion, der Familie, der Liebe – und das auch immer wieder explizit mit politischem Hintergrund.
Vieles davon hätte sich sicherlich auch in den Kontext ihrer Stammband integrieren lassen, hätte dabei aber wohl an seiner mitunter unangepassten Referenznähe einbüßen müssen, die hier phasenweise überdeutlich artikulieren, dass Howard privat wohl auf Prince und die Brainfeeder-Gang abfährt. Wo zumindest Goat Head erst wie unaufdringlich repetitive Fahrstuhlmusik mit sozialkritischer Agende groovt und praktisch als Steilvorlage dienen muß, zukünftig ein Hip Hop-Gerüst zu bieten, stellt sich nicht nur hier die Frage, wie Howard wohl unter der Regie von Flying Lotus klingen könnte. Kongenial mutmaßlich. Denn auch das neugierig mit latentem Funk verspielte History Repeats, das Beck zu Midnight Vultures-Zeiten neben der Spur zum Blues torkeln lässt, oder Tomorrow, mit seinem R&B-Beat aus Handclaps und satter Bassdrums, Lounge-Feeling und smoother Rap-Fusion-Patina, wirken so, als könnten sie Thundercat ein anerkennendes Lächeln abringen.
Einstweilen hat Howard als ihre eigene Produzentin aber einen tollen Job gemacht und Jaime nicht nur einen traumhaften Drumsound auf den Leib geschneidert. Sie gibt sich selbst auch die Lockerheit, Dinge ohne Korsett auszuprobieren und in der einen oder anderen Perspektiververschiebung dennoch unmittelbar heimisch fühlen zu lassen – und das bei einer beachtlichen Variabilität.
Georgia zuckt beispielsweise spacig in Zeitlupe, wird warm und weich von einem Rhodes Piano eingerahmt, wo Short and Sweet nur auf eine Gitarre, diese Stimme und eine distanzlose Nähe setzt, während man im höchsten Falsett an den zeitlos-tröstenden Jeff Buckley oder Moses Sumney denken darf. Baby stackst schüchtern und ohne wirkliches Ziel flanierend, und Presence zeigt was mit Harfe, Saiten, einem abgedämpften Beat sowie einem jenseits der Erwartungshaltung pudelwohlen Songwriting möglich ist. Vor allem auch der wunderbar im Hall ersaufende Schlußpunkt in Form der neonschwer-trägen 80er Ballade Run to Me schindet Eindruck – bis hin zur anachronistischen Retro-Phase von Kayo Dot.
Immer nimmt sich Howard dabei auch die Ungezwungenheit, Songs und Ideen nicht zu Ende den zu müssen. Hits (wie das verträumt bimmelnde, unaufdringlich schrammelnde Stay High, das so indirekt-direkt den unaufdringlichen Ohrwurm macht) werden nur skizziert, sympathisch und nonchalant umgarnt, um dann doch wieder psychedelisch angehaucht weiterzuziehen.
Mit Ausnahme des doch irgendwie deplatziert aus dem Fluss kippenden 13th Century Metal – dem längsten Song der Platte zumal – als nervös fiependen Jazz-Dancefloor-Shaker mit rezitierten Vocals aus der zweiten Reihe hinter dem retrofuturistische Krautrock, funktioniert Jaime so durchaus als kurzweiliges Kaleidoskop.
Für sich selbst stehend können einzelne Nummern allerdings auch ein bisschen frustrieren, weil sie selten konkrete Ziele anvisieren und sich zu oft nur um sich selbst drehen. Insofern wünscht man sich durchaus, dass hier und da der Fokus stärker eingestellt wäre, vielleicht auch der eine oder andere kreative Reibungspunkt das Material (wie es phasenweise live gelingt) gewinnbringend zu Ende formen hätte können. Das mit markant-dichtem Led Zeppelin-Rhythmus entspannt die soulig-sehnsüchtige Ballade hingebende He Loves Me darf beispielsweise erst aus dem Leim gehen und dann ohne Spannungsbogen oder Klimax verglühen. Gut, aber auch vergebenes Potential. Gerade dieses Wesen als unkonventionelle Rohdiamanten macht allerdings auch einen Gutteils des Reizes des Mosaiks Jaime aus. Und was wahlweise sogar noch besser ist: Hiernach scheint die mögliche Zukunft der Alabama Shakes sogar noch spannender als bisher.
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