Element of Crime, The Big Howard [09.11.2019: Orpheum, Graz]
Ein gelungenes, zutiefst angenehmes Komfortzonenschaulaufen: Sven Regener und die zeitlos wunderbaren Element of Crime (über)füllen das Orpheum am ersten von zwei aufeinanderfolgenden Graz-Gastspielen bis zum Anschlag.
Obwohl am folgenden Tag aufgrund der großen Nachfrage ohnedies ein (nicht ausverkaufter) Zusatztermin in steirischen Landeshauptstadt eingeschoben wurde, hat man am eröffnenden Samstag das Gefühl, dass das Orpheum in Sachen Publikumsdichte diesmal weit über Gebühr Fassungsvermögen aufgenommen hat: Die Luft ist stickig und heiß, der Saal bereits zu Beginn des Abends wirklich unangenehm voll, obwohl sogar noch eine ganze Schippe Besucher vor den Toren und im Foyer herumlungert – selbst den Support Act kann man deswegen in der Sardinenposition gestaffelt erleben.
Was dann leider nicht an der Qualität von The Big Howard liegt, dem neuen Alias von Florian Horwath. Abgesehen von einer minimalistisch eingestreuten Synthpop-Nummer und dem unpassenderweise (aber dabei am nettesten funktionierend) vom Tonband kommenden Setlist-Playback-Closer Loverboy verlässt sich Big Howard live alleine auf eine Akustische Gitarre und seine Stimme, wirkt dabei aber, als würde Andreas Spechtl am Versuch scheitern Daniel Johnston zu imitieren.
An sich nette Melodien verschwinden schließlich sofort in der Belanglosigkeit und tauchen jenseits der nervenden Schmerzgrenze wieder auf, wenn jede Passage aufdringlicher Refrain sein will und bis zum Erbrechen wiederholt wird, die frustrierend repetitiven Texte weitestgehend ziemlich übel sind und ein „Money is a drag“ so schief intoniert wird, dass man eher „Mommy is a Drag“ versteht.
Das Songwriting will simpel und kauzig sein, kommt aber in dieser reduzierten Erscheinungsform nur unvorteilhaft bemüht rüber. Besser wird die Sache auch nicht durch lange Zwischenansprachen oder „soziale Experimente“ wie der während der Show durchs Publikum wandernde übergroße Hut (dessen später gesuchte Feder der Musiker übrigens im Alleingang vor der finalen Nummer auf der Bühne verliert). Während man sich noch fragt, ob wirklich Leute die Chance ergreifen wollen „auch Big Howard sein zu können“ und ob Element of Crime tatsächlich „die beste Band der Welt sind“ (was sagen die Beatles dazu?) hebt sich der tratschende Lautstärkepegel im Zuseherbereich symptomatisch immer latenter an.
Weil man schon beim Sudern ist: Von vornherein fix im Showablauf verankerte Zugaben sind und bleiben einfach absurd. Da können Element of Crime noch so starke Nummern in die drei nachgereichten Tranchen hinter der regulären Setlist stecken. Gerade die schätzungsweise 30 Sekunden Pause zwischen dem zweiten und dritten Zugabenblock machen das Prozedere eigentlich zur Farce.
Aber was soll’s. Die Herangehensweise funktioniert praktisch ja offenkundig durchaus (spätestens rund um das Finale der Show ist die Stimmung im Orpheum tatsächlich ausgelassen euphorisch) und hätte auch mit einer geschlosseneren Dramaturgie kaum fesselnder aufgehen können: Weißes Papier und das textlicher mitgefeiert Delmenhorst sind natürlich zwei absolute Bänke von unzerstörbaren Hits, Vier Stunden vor Elbe mit Schlagzeuger Richard Pappik an der Mundharmonika zieht die Melancholie besonders dicht und bekümmert auf, bevor Geh doch hin sich angriffslustig aufbäumt und der feine Abschied mit Über Nacht in seiner schwelgenden Grandezza absolut einnehmend betört.
Ähnlich ambivalent kann man dann subjektiv auch die Modifikation der Setlist der seit wenigen Tagen fortgesetzten Schafe, Monster und Mäuse-Tour in direkter Relation zu den Frühjahrs-Terminen finden. Immerhin ist mit dem nervigen Karin, Karin der einzige damals noch auf dem Programm stehende Ausfall aus dem Repertoire entfernt worden und auch der Titelsong und einzige Vertreter des schwachen Lieblingsfarben und Tiere wird nun ausgelassen – dafür gibt es aber mittlerweile auch kein Schwere See mehr. Schätze wie das stattdessen aus dem Fundus gekramte Surabaya Johnny als Waits‚esk aufbrausender Blues mit abgedämpften Toms entschädigen dafür freilich durchaus.
Letztendlich gibt es an sich nichts gravierendes zu bemängeln, wenn Element of Crime knappe zwei Stunden lang praktisch exakt entlang der Erwartungshaltung rundum zufriedenstellend abliefern. Mehr noch: Live übersetzt die top eingespielte Band ihre auf Tonträger mittlerweile ja etwas berechenbar gewordene (zuletzt aber wieder in starker Form dargebotene) Trademark-Formel durchaus interessanter und stets kurzweilig, lässt keine zu gemütliche Routine aufkommen. Bis auf die anfangs zu leise gemischten Bläserbeiträge im Sound sitzt vom unterhaltsamen Zwischenansagen-Geplänkel bis zur zweckdienlichen Lichtshow eigentlich sogar jedes Element des Auftritts (außer vielleicht Regeners Sakko und Shirt).
Die wirklich starken Momente geben sich jedenfalls die Klinke in die Hand: Das auf Tonträger zu penetrante Ein Brot und eine Tüte rumpelt und rockt auf der Bühne nachdrücklicher, der charmante Bandvorstand gröhlt bereits hier dann und wann rauer, als man das gewohnt ist. Das alles kommt mit wird als Test für das Liebliengsplatte-Festival in Düsseldorf lautstark begrüßt und Wer ich wirklich bin mutiert als so treibend-rollender Roadhouse-Exzess zum heulend-stampfenden Highlight, wohingegen Da ist immer noch Liebe in mir besonders ausgelassen schunkelt.
Gewitter badet später verträumt in der Atmosphäre, Im Prinzenbad allein soll Freibäder retten und Die Party am Schlesischen Tor bekommt ein besonders lebendiges Lichtspiel, bevor das abschließende Doppel aus der funkelnden Schönheit Am Ende denk ich immer nur an dich sowie dem gefühlvoll akzentuierten (vom Publikum stets nur an den letzten Silben des Refrains mitgetragenen) Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin mit seinem unsterblich fabelhaften Gitarrenmotiv sogar eine unter die Haut gehende Begeisterung auslöst, die die zuverlässige Klasse von Element of Crime adäquat destilliert. Wer Samstagabend also keinen Platz im rappelvollen Orpheum gefunden hat, müsste in Graz an sich nicht großartig über die heimeligste Abendgestaltung des Wochenausklangs dischkerieren.
Nachtrag: Wer beide Konzerte in Graz besucht, erlebt im Prinzip zweimal die exakt identische Show: Nicht nur Setlisten der beiden Abende sind sowohl beim Support als auch bei der Hauptband genormt, selbst die Zwischenansagen werden einfach kopiert übernommen. Einzig der Pfadfinder-Gag vor dem Robert Zimmermann wundert sich über die Lieb-Stück Ein Hotdog unten am Hafen fehlt.
Ist halt nicht jeder Pearl Jam oder Bruce Springsteen.
Setlist:
Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang
Schafe, Monster und Mäuse
Ein Brot und eine Tüte
Deborah Müller
Das alles kommt mit
Liebe ist kälter als der Tod
Wer ich wirklich bin
Da ist immer noch Liebe in mir
Jetzt musst du springen
Gewitter
Surabaya Johnny
Bevor ich dich traf
Im Prinzenbad allein
Ein Hotdog unten am Hafen
Die Party am Schlesischen Tor
So wie du
Am Ende denk ich immer nur an dich
Wenn es dunkel und kalt wird in BerlinEncore 1:
Weißes Papier
DelmenhorstEncore 2:
Vier Stunden vor Elbe
Geh doch hinEncore 3:
Draußen hinterm Fenster
Über Nacht
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