Japandroids – Near to the Wild Heart of Life

von am 24. Januar 2017 in Album

Japandroids – Near to the Wild Heart of Life

Brian King und David Prowse sind immer noch Experten für Rock-Hymnen, die den Moment feiern, als gäbe es kein Morgen. Auf Near to the Wild Heart of Life wollen sie jedoch mehr und haben – unglaublich, aber wahr! – einen Grower aufgenommen, der durchaus Zeit verlangt.

Zuallererst ist das Duo aus Vancouver aber schlau genug wieder all jene zurück an Bord zu holen, für die nicht einmal Alben von stilistisch nahverwandten Kombos wie Beach Slang, Cloud Nothings oder No Age ein adäquater Ersatz für die knapp fünf Jahre dauernde Abwesenheit der Japandroids waren: Der eröffnende Titelsong zitiert James Joyce und thematisiert den Umzug nach Toronto, wird energisch nach vorne angetrieben und legt seine Melodien über den mitreißend ziehenden Rhythmus, feiert rund um einen enorm infektiöser Refrain (der hinten raus natürlich nach altbekanntem Verhaltensmuster zu oft repetiert wird), während die beiden Kanadier mit ordentlich Schwung schunkelnd ausgelassen mitgröhlen, bevor das folgende North East South West als lockererer Roadroad immer mehr an Fahrt aufnimmt, bei jedem Stop einem euphorischen Kumpel-Chor Raum bietet.
Zur Begrüßung gibt es nichts anderes als waschechte Hits und neue Vorzeigesongs für die Band, eine unmittelbar zündende Kompensation für die lange Wartezeit – aber auch gehobene Augenbrauen: Im Vergleich zu Post-Nothing und Celebration Rock ist die Produktion 2016 merklich sauberer ausgefallen, der Schmutz aus den Instrumenten geklopft, nicht nur die Stimme von King in der Mitte angekommen. Das kann man auf den Erstkontakt durchaus mit einer angezogenen Handbremse verwechseln.

Es hat sich eben merklich etwas getan, seitdem sich Japandroids nach ihrer Mammuttour 2013 für knappe 3 Jahre aus der Öffentlichkeit zurückzogen. Spätestens wenn das legere North East South West als rastlos auf Achse befindlicher Soundtrack zum Tourleben von Küste zu Küste und von Amerika nach Kanada zieht, all die Orte des Triumphes rekapitulierend jubelnd aufheulen lässt, und nach knapp der Hälfte seiner Spielzeit plötzlich in eine entspanntere Gangart zurückkippt um noch mehr „Whoa oh oh, oh oh oh„s Platz einzuräumen, wird deutlich, dass im dritten Anlauf keine Charakterzüge verworfen werden, sich bei den beiden Japandroids in der letzten halben Dekade allerdings durchaus Perspektiven verschoben haben.
Etwa, dass für das Songwriting der beiden weniger explosiv agierenden Rocker ein Springsteen mittlerweile wohl wichtiger als McLusky oder die Replacements geworden ist; Dass der zuverlässige Corporate Identity-Look im rahmenden Fokus leicht aufgebrochen wurde, aber auch Near to the Wild Heart of Life aus einer typischen acht Songs starken Trackliste besteht, die in unter 40 Minuten über die Ziellinie marschiert; Dass King und Prowse verstanden haben, dass ihre zweite Studioplatte die mit Post-Nothing installierten Trademarks der Band bereits auf ein Limit getrieben hatte, das ein Mehr an Variabilität und Wachstum für die Zukunft unablässig machte, um sich nicht mit einem dritten Aufguss redundant zu wiederholen; Und dass nahtlos an Celebration Rock anzuknüpfen eben trotz allem auch bedeute,t nicht außer acht lassen zu können, dass dieser mit dem suchenden Continuous Thunder in die Pause entließ.

Und plötzlich müssen Japandroids nicht mehr permanent am Gaspedal stehen, brechen eine gewisse Formelhaftigkeit in ihren Kompositionen zugänglich auf und haben dazu Songs wie I’m Sorry (For Not Finding You Sooner) aufgenommen, das sich mit verzerrt bratendem Gitarrenteppich und verzerrter Mantra-Stimme eher wie Raum schaffendes Interlude anfühlt, das pulsiert ohne zum Climax zu kommen und akzentuiert, dass der Albumfluss auf Near to the Wild Heart of Life schon einmal wichtiger sein kann als mit der Tür ins Haus fallende Single-Bausteine. Auch wenn Japandroids im beinahe achtminütigen Arc of Bars eine neonfinster funkelnde Synthielinie entern, geduldig in permanenter Lauerstellung umherstreifen, weibliche Backingvocals im Nebel auftauchen, und  die beiden einen vielschichtiger texturierten Sound praktizieren und diesen immer weiter verdichten, funktioniert das vor allem im ganzheitlichen Kontext.
Weil selbst im Gesamtgefüge noch nicht jede Facette dieses Expansionsverfahrens restlos zündet (weil gerade die ruhigeren Momente von dem Mehr an Atmosphäre leben, während den räudigeren Szenen dann doch das letzten arschkickende Momentum fehlt) fühlt sich Near to the Wild Heart of Life immer auch ein bisschen wie die Platte an, die erst an der Schwelle zu noch folgenden Großtaten passiert, die Evolution des Duos aber erfrischend antreibt.
Auf Near to the Wild Heart of Life reichern Prowse und King ihre musikalische DNA dazu jedoch weniger mit dezenten Neuerungen an, als dass sie altbekannte Muster inszenatorisch zähmen und polieren, dafür auch endgültig aus der Garage ins Stadion finden, ohne deswegen gleich größenwahnsinnig zu werden. Die seit jeher so energiegeladene wie puristische Reduktion auf Gitarre, Schlagzeug und Gesang wird minimal ausgedehnt, die Dinge werden schlichtweg überlegter und getragener angegangen, Japandroids stellen das Songwriting ohne permanente Sucht nach der Wucht auf eine breitere, abwechslungsreichere Basis.
Ja, Near to the Wild Heart of Life ist eine Platte geworden, die Fans der beiden ersten Alben entweder davon reden lassen wird, dass Japandroids langweiliger geworden sind – oder verdientermaßen das Phrasenschein quieken lässt, indem dem Duo bescheinigt werden darf erwachsener und reifer zu klingen.

Was darf’s also sein – Weiterentwicklung oder „Less lust for life, more talking shit„, wie In a Body Like a Grave anprangert? Die Wahrheit liegt wohl dazwischen, doch Fakt ist: „And age is a traitor“ – wogegen Japandroids nicht nur in dem abschließenden, entspannten Laidback-Rocksong ein schönes, sanft stampfendes Finale zimmern, das deutlich weniger bissig daherkommt, als man das von den beiden Energiebündeln gewohnt war, aber damit nicht nur die Weichen für die Zukunft stellt, sondern eben auf Sicht auch den längeren Atem beweisen könnte.
True Love and a Free Life of Free Will nimmt so etwa die erste Ausfahrt von der gehetzten Vollgas-Autobahn und verschnauft, zeichnet eine weitere Szenarie am Horizont als diese bisherigen Songs der Band, agiert gemäßigter und trotzdem dynamisch, legt sich melancholisch in seine erhabene Melodie, drückt in Schüben auf den Verstärker und präsentiert die beiden Japandroids mit geschlossenen Augen. Die zackige Endorphinausschüttung Midnight to Morning (ausnahmsweise erstmals mit David Prowse am Mikro) kennt ein erhebendes Gefühl von Freiheit, ist aber mehr noch ein erhebender Rückenwind von einem Song, direkt nach Hause – und mit ein wenig guten Willen kann man Japandroids nicht erst hier sogar attestieren, ihre eindimensionale Inhalts-Thematik vertieft zu haben.
Da versteckt sich sogar hinter dem friedfertig-harmonischen Formatradio-Tauglichkeit des ereignislos verpuffenden No Known Drink or Drug und seinen simplen „Sha na na na, sha na na na na„s mehr, als der mutmaßlich plakative Titel verraten will. Etwa eine Sinnsuche, an deren Ende eine simple Erkenntnis steht („And no known drink/ No known drug/ Could ever hold a candle to your love„) und quasi nebenbei formuliert, dass auch die übergreifend konzeptionell ausgelegte Reise Near to the Wild Heart of Life trotz veränderter Strukturen – eine weniger aufregende Dringlichkeit wird mit mehr Bandbreite im Midtempo, gefinkelteren Produktions-Konzentrationen sowie einem poetischerem Hang in den Lyrics zumindest annähernd kompensiert – immer noch ganz ähnlich funktioniert wie seine Vorgänger: „Our mission: making moments into memories„.

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