Jeromes Dream – The Gray In Between
Hat die Emoviolence/ Screamo-Institution Jeromes Dream mit The Gray Inbetween womöglich tatsächlich doch noch das Album aufgenommen, auf das man seit ihrem ikonischen Debüt Seeing Means More Than Safety gewartet hat?
Nein. Dem ist bei genauerer Betrachtung nicht so. Warum es aber auf den ersten Blick doch so scheinen mag, liegt auf der Hand.
Auf Presents, dem 2001 ein Jahr nach Seeing Means More Than Safety erschienenen Zweitwerk von Jeromes Dream, und LP, dem (sogar Spott ausgesetzten) Comeback-Werk des erst 2018 nach über eineinhalb Dekaden wieder zueinander gefunden habenden Trios, bediente sich Bassist und Sänger Jeff Smith schließlich einem monoton rufenden Megaphon-Vocal-Style, was dann – Vorsicht, Euphemismus! – durchaus einen ambivalent polarisierenden Eindruck in der Szene hinterließ.
Für The Gray Inbetween kehrt Smith nun aber zu der infernalen Schrei-Praxis von Seeing Means More Than Safety zurück – noch konsequenter, als man sich das nach dem Reboot Keep Those Bristles Clean and Closed II samt seinen Kompagnon Commonly, the Other Head With Both Hands, den wirklich furiosen Live-Shows 2019 sowie mittlerweile bestätigten Gerüchten ob einer kompletten (noch auf seine Veröffentlichung wartenden) Gesangs-Neuaufnahme von LP in seinen manischsten Aggressions-Phantasien erträumend hätte können.
Nein, diese Stimme wurde nicht durch exzessive Beanspruchung in der Jugend zerstört: Smith keift mit einer hungrigen Vitalität, brüllt die Katharsis mit Blut und Schweiß hinaus, intensiv vor harscher Leidenschaft schneidend.
Zwar ist The Gray Inbetween in dieser Hinsicht nun also eine Rückkehr an die offenen Wunden der Wurzeln von Jeromes Dream, doch wäre eine Platte wie das zweite Werk der zweiten Bandphase, das nun wie das tatsächliche Comeback des Trios anmutet, vor zweiundzwanzig Jahren undenkbar gewesen.
Zum einen liegt das daran, dass Jeromes Dream Facetten aus allen bisherigen Veröffentlichungen mitnehmen und in die DNA von The Gray Inbetween einspeisen, vor allem der Noiserock der jüngeren Vergangenheit eklatante Spuren hinterlassen hat: AAEEAA ballt die Fäuste dort mit sinister perlenden Schikanen und psychotischem Muskelspiel; Stretched Invisible from London reibt sich in der Dissonanz mit Stakkato-Schüben und und giftigen Ausbrüchen auf.
In der zweiten Hälfte wird die Platte (rund um den hysterischen, Daughter‚esken Standard The Future of Memory, bevor der Closer The Last Water Pearl seinen stoischen Stakkato hart aufstampfend gen Touché Amoré-Sehnsucht lenkt, dieses Szenario dann aber relativ unspektakulär verklingen lässt) zwar grundlegend etwas schwächer weniger überragend, hat das essentiellste bereits gesagt, doch schrammt sie dann immer noch an Math vorbei (etwa On Holiday with Infinity mit seinen Tarantelstich-Eskalationen der geschwungenen Abrissbirne), während einzelne Passagen (das kurze, verträumte Luftholen Cosmos In Season am ambient-verwaschenen Klavier; das aus der Ferne herangeholt schrammelnde Interlude Often Oceans) alleine genutzt werden, um die Aufmerksamkeit auf den übergeordneten Spannungsbogen niemals abstumpfen zu lassen. Insofern ist The Gray Inbetween sicherlich der bisher reifste und kompletteste Erguss der Band.
Zum anderen liegt diese Evolution aber auch am personellen Besetzungswechsel an der Gitarre, der wie Kerosin für den Konglomerat-Zündstoff agiert: Statt Gründungsmitglied Nick Antonopulous ist nun der ursprünglich nur als zweiter Tourgitarrist angeheuerte Loma Prieta (etc.)-Zauberer Sean Leary fixer Bestandteil des Gefüges.
Drummer Erik Ratensperger über den aufgrund örtlicher Distanzen zwischen der Ur-Besetzung zustande gekommene Umbesetzung: „We had every intention of including Nick in the process of writing during what became The Gray In Between, but unfortunately, it didn’t work out. And eventually the entire dynamic of the band changed and became evident that the band had entered a new chapter during that time — and this next chapter is comprised of Jeff, Sean and myself. It feels like a new beginning in so many ways. It feels like we’re at the starting line with The Gray In Between.“
Wenn Ratensperger, der selbst, muß man es überhaupt extra erwähnen?, wie bei all seinen Trommelein eine fulminant vor Dringlichkeit und Variabilität schwindelerregend berstende Performance liefert, weiters von einer „zärtlichen Brutalität“ im Spiel von Leary spricht, dann trifft er damit den Nagel auf den Kopf. Learys Arbeit fügt sich so ebenso nahtlos in den Charakter von Jeromes Dream ein, spinnt Trademarks weiter, wie sie sie im selben Moment absolut individuell anmutig auffächert: als Wirbelsturm sticheln atonale Attacken wie schizoid übergreifende Angstzustände, nur um im nächsten Moment in den erhabensten Melodiebögen aufzugehen, die die Bandkarriere des Trios zu bieten hat.
Vor allem das Doppel aus dem hymnisch zum Grindcore polternden, dann aber eine hoffnungsvoll erhebende Grandezza zaubernden South by Isolation sowie einem geduldig die Spannung aufköchelnden Pines on the Hill (with Guests), dessen manische Eruptionen optimistische Gesten in die atonale Melancholie spuken, geraten genial. Und Conversations: In Time, On Mute hämmert und wirbelt mit epischer Kante in der Hirnwut, gönnt sich aber kurze Phasen der kompletten Zurücknahme in ein ruhiges Durchatmen, samt markantem Drum-Minimalismus. Ja, dieses Album strotzt vor – vielleicht nicht ikonischen, aber doch definitiv – dem Genre absolut erinnerungswürdige, berauschende (und im MO doch manchmal auch ei bisschen monoton fiepende) Momente schenkenden Szenen.
Und wenn man schon am Schwärmen ist: Jack Shirley hat selten eine derart effektive, das Songwriting auf ein nächstes Level hievende Produktion wie hier abgeliefert. Sein Sound wirkt wie eine zusätzliche Adrenalin-Induktion, so verdammt wuchtig, kraftvoll, satt und drangsalierend mächtig schiebt hier alles aus den Boxen. Wo die Band ohnedies wieder vor Energie zu platzen scheint, bündelt er das Chaos zusätzlich in einen Strom jenseits der Nostalgie, dem es absolut egal sein kann, keine so originäre, stilprägende, oder gar wichtige Heftigkeit in der Wahrnehmung zu provozieren, wie es The Gray In Between inmitten der derzeit stattfindenden Screamo-Renaissance gebraucht hätte, um abermals als wegweisend zu gelten (oder die Aufrundung zwischen den Punkten in der abschließenden Wertung zu bekommen): diese 25 Minuten preschen mit einer niemandem etwas schuldig seienden Sturm und Drang-Mentalität an die von Jeromes Dream mitdefinierten Speerspitze des Genres, sie fühlen sich nur nicht ganz wie ein neuerlicher Klassiker an – auch wenn dem Emoviolence wohl kaum etwas besseres passieren hätte können, als dieses wahrhaftige Comeback.
So gesehen ist The Gray In Between sicher nicht das Album, auf das man seit Seeing Means More Than Safety gewartet hat – sondern vielleicht eher eine noch interessantere Alternative dazu, auf Umwegen mit der Tür ins Haus fallend.
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