Julian Casablancas + The Voidz – Tyranny

von am 9. Oktober 2014 in Album

Julian Casablancas + The Voidz – Tyranny

Dem Cover nach zu urteilen könnte ‚Tyranny‚ gut und gerne auch von einer Gang aus The Warriors eingespielt worden sein. Nur konsequent, ist The Strokes-Chef Julian Casablancas mit dem wilden Stilamalgam seiner neuen Hintergrundcrew doch irgendwo tatsächlich auf Kollisionskurs und Kriegsfuß mit der relativ versöhnlichen Herangehensweise seiner Stammband.

Dass das auf dem Papier nicht als zweites Soloalbum des New Yorkers durchgehen wollende ‚Tyranny‚ ein massives Dokument der Verweigerungshaltung werden könnte, das hat Casablancas ja bereits mittels des erschlagenden, elfminütigen Vorboten ‚Human Sadnes‚ signalisiert: eine erhabene Melodieführung schlängelt  sich unter Narkose um eine Nostalgie, die sich unwirklich vor heimeligen Streicherarrangements entfaltet. Casablancas schickt seine Stimme jedoch bald durch ätzende Vocoder-Vocaleffekte und schneidet spitze Gitarren gleich hinten nach, lässt dann die Industrial-Blase mit nervösen Spielhallenflair aufbrechen und ein Soli endlos lange vor Geilheit heulen. Die erste Single steht permanent an der Kippe zwischen betörenden Sonnenuntergang und hirnwütiger Klapsmühlenrandale – und damit exemplarisch für ‚Tyranny‚.
Weil sich Casablancas auch über kürzere Laufzeiten hinweg einen ungeheuren Spaß darauf macht, seine Songs ins Ungewisse zu ziehen, sein Trademarksongwriting entlang all der aufblitzenden Melodieansätze mutwillig zu zerschießen, räudig gegen die Wand zu fahren und irre aus der Dunkelheit herauszuleuchten.
Der 36 jährige baut so durchaus vage auf der Grundlage von ‚Phrazes for the Young‚ auf, treibt aber vor allem die Ansätze der letzten beiden Alben seiner Hauptband unentwegt in die Extreme: ‚Tyranny‚ wirkt deswegen auch so, als würde es mit einer über das Ziel hinausschießenden Konsequenz all das tun, ihm die anderen Strokes ungeachtet der markanten Entwicklungen auf ‚Angles‚ und ‚Comedown Machine‚ nicht gestattet haben.

Wo ein derartig zwischen allen Stühlen sitzender Bastard gerne unentschlossen wirken könnte, zelebriert Casablancas den Seiltanz über den Übermut mit einer keinen Widerspruch duldenden Nachdrücklichkeit und ohne doppelten Boden, vollführt der ADHS-Fall ‚Tyranny‚ mit einer Mittelfinger-Attitüde, die jedes zugängliche Element mit einer vor den Kopf stoßenden Anti-Haltung konterkariert. Schon das eröffnende ‚Take Me In Your Army‚ ist da ein Stück drückender Synthierock, das seine Melodien schief gegen den Strich bürstet und eine verstörende Freude an der Disharmonie hat: die verdammt catchy Uneingängigkeit der nächsten Songs wird also bereits hier etabliert. ‚Where No Eagles Fly‚ will sich nicht entscheiden, ob seine annähernd 4 Minuten Laufzeit lieber ein flapsig groovendes Handreichen, oder ein brettharter Electronicclash darstellen soll – irgendwann lehnt Casablancas den Songs geschickt an die Abfahrt von ‚Vision of Division‚.
Auch ‚Father Electricity‚ wirkt, als würden zwei verschiedene Kompositionen auf einmal gegeneinander Sturm laufen, Melodie und Rhythmus spielen gegeneinander an, Casablancas und seine Voidz malträtieren dazu einen verspult-tropical pumpenden Jungle-Beat, der  nur zu absurd austickendem Moves auf der Tanzfläche rühren könnte. Direkter ist das schon das grandiose ‚Dare I Care‚, eine R&B-Dancehallvergiftung für die Zeit nach ‚Random Access Memories‚ (inklusive patentiertem ‚Room in Fire‚-Science Fiction-Kniddelmotiv) oder das Richtung Flying Lotus im muskulösen Badass-Outfit schielende ‚Xerox‚.

Selbst die verhältnismäßig straighten Songs der Platte sind nicht um Sackgassen und Finten verlegen, beißen früher oder später immer den kleinen Finger ab: ‚Crunch Punch‚ imitiert einen neben der Spur shuffelnden Ohrwurm, der mit luftigerem Soundgewand durchaus auch auf ‚First Impressions of Earth‚ Platz finden hätte können – nicht nur wegen der  Sprachsamples muss man aber vor allem immer wieder an The Paper Chase denken. Dann zeigt Cassblancas mit ‚M.utally A.ssured D.estruction‚ seinen Schützlingen von Cerebral Ballzy dass auch er das mit schillernder Neon-Hardcore problemlos draufhat, samt schriller Gitarren und dumpfem Rhythmusgerüst, schmuddlig und böse, bevor ‚Johan Von Bronx‚ auf hyperaktive Art daran erinnert, dass der Strokes-Chef nicht ohne Grund bereits zu Gast bei den Queens of The Stone Age war. Ob das nun Noiserock, Psychedelik-Pop, experimenteller Synthiepunk oder schlicht digitaler Garagen-Irrsinn ist? Ja, alles natürlich. Und nichts davon. Eine herrlich abgefuckte, irre, durcheinandergewürfelte Unordnung voller catchy Widerhaken und nervenaufreibender Brüche unter der wahnsinnigen Schale, eine Platte, die lieber den Schädel sprengt als zu langweilen.
Der Weisheit letzter Schluss ist dass alles dennoch nicht, alleine weil zu ausführliche 63 Spielminuten doch einen dezenten Fokus gebrauchen hätten können und der Platte während schwächerer Songs wie ‚Business Dog‚ ein wenig die Luft auszugehen droht. Viel wichtiger: ‚Tyranny‚ ermöglicht Casablancas auf durchaus unerschrockene und mutige Art neue künstlerische Freiräume, die er dann auch absolut rücksichtslos ausfüllt. Man muss gespannt sein, was das für die nächste Strokes-Platte bedeuten wird.

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