Steve Gunn – Eyes on the Lines

von am 20. Juni 2016 in Album, Heavy Rotation

Steve Gunn – Eyes on the Lines

Rechtzeitig für seinen Einstand bei Matador legt der umtriebige Workaholic Steve Gunn sein bisher komplettestes Album vor: Eyes on the Lines ist eine geduldige Meisterleistung in Sachen kontemplativen Americana, der seinen weitschweifenden Blick stets sehnsüchtig auf die über den Horizont hinausführende Straße gerichtet hat.

Es gibt da diesen Moment in The Drop, der den Charakter von Eyes on the Lines vielleicht am perfektesten destilliert. „I think I missed my flight/Looks like I’ll spend the night“ singt Gunn ohne Spur der Resignation oder Betrübtheit und spielt den Song kurzerhand irgendwo in der anachronistischen Grauzone zwischen entspannt nach vorne gehendem Indie-Americana und ungehetzt rastlosem Endlossoli weiter. Der in Brooklyn lebende Singer-Songwriter aus Lansdowne, Pennsylvania gönnt sich eben keine Rast, sondern bleibt auf Eyes on the Lines stets in Bewegung, wenn auch nur äußerlich. Dort strahlt Gunn nämlich eine relaxte Ruhelosigkeit aus, während er innerlich nicht mehr auf der Suche zu sein scheint, sondern mit einer Zen-artigen Ruhe bei sich selbst angekommen ist.
Genau nach diesem Muster – und nur auf den ersten Blick genau entgegengesetzt zum stimmungsvoll mysteriösen Artwork, dass vielleicht eine Klangkuppel, zumindest aber ein etwaiges Betonkonstrukt aus vergangenen Tagen zeigt, dessen Körper statisch verharrend beständig aber unaufhaltsam von der Natur überwuchert und wieder vereinnahmt wird – funktioniert der Nachfolger des bereits so grandiosen [amazon_link id=“B00KWNM9MW“ target=“_blank“ ]Way Out Weather[/amazon_link] von 2014 nun im Gesamten: Den neun Songs liegt ein immanenter Drive inne, eine legere Getriebenheit, die niemals Hektik oder Stress aufkommen lässt, dafür aber mit fast schon meditativer Zurückhaltung in einem eleganten On the Road-Fluss verfällt. Ein imaginativer Soundtrack für Reisen auf endlose Straßen also, die durch in alle Richtungen offene Landschaften unter einem grenzenlosen Himmel führen. Ideal, um den Geist mit aller Zeit der Welt schweifen zu lassen, mit anfixendem Groove über den Weg zu sinnieren und um zu einem Ziel zu finden, dass nicht zwangsläufig klar sein muss, wie Gunn im Closer Arc letztendlich erkennt: „Here is where we’ll get nowhere/And everywhere is there now.

Folglich schwer lässt sich der generelle, durchaus assoziative Sound von Eyes on the Lines verorten, auch wenn er gleich im dängelnden Ancient Jules mit dem improvisierten Slacker-Indietum von Kurt Vile die prägendste Referenz installiert: Da passt es freilich nur zu gut, dass Gunn als Tourgitarrist bei den Violators seines [amazon_link id=“B01662SPRK“ target=“_blank“ ]letztjährigen Kooperationspartners[/amazon_link] angestellt war. Im folgenden Full Moon Tide verschmilzt Gunns exzellentes Gitarrenspiel mit dem geschickten Rhythmus von Drummer John Truscinski zu einer unbeschwert dahinlaufenden Hommage an den sommerlichen Pop der späteren Velvet Underground, im friedfertigen Conditions Wild trifft sich Gunn zum Armdrücken mit Bären und sorgt für einen dieser unaufdringlich catchy ins Ohr gehenden Beinahe-Hits der Platte. Das alles könnte Vile kaum stimmiger in Szene setzen.
In The Drop nähert sich Gunn dann vage einer Country-Ansicht aus der Perspektive von Lee Ranaldo – wie formvollendet die so zurückhaltend wie fokussiert arbeitende, im steten Wechsel bis zu achtköpfige Backingband die Kompositionen von Gunn in Form hält, ist immer wieder erstaunlich. In Nature Driver oder dem jazzigen Park Bench Smile transzendieren die umgarnenden Gitarren wie eine Highway-Version von Television, die an die folkige Zeitlosigkeit eines Ryley Walker erinnert und dabei wie so vieles am streunenden Eyes on the Line den freigeistigen Psychedelic-Spirit von The Grateful Dead inhaliert hat. Das alles ist verträumt und driftend, aber nicht ohne Konturen jammend und nur selten mäandernd – ob nun mit geschlossenen Augen oder offenen.
Denn was Gunn letztendlich auch abseits stilistischer Ähnlichkeiten mit all diesen nahverwandten Ausnahmemusikern verbindet, ist die erstaunlich lässige Unangestrengtheit, mit der er seinen offenbar niemals versiegenden Songreigen so mühelos aus dem Ärmel schüttelt, fingerpickende Lagen aus wohligen Melodien und Akkorden zu einem ganz eigenen Soundbild übereinander schichtet und die einzelnen Stücke nun auch zu noch schlüssigeren Gesamtwerk verwebt. Eyes on the Lines kündigt eben von wahrer Klasse – als Album von meisterhaft unspektakulärem Understatement, das vermeintlich ohne jedweden forcierenden Zwang wie selbstverständlich wächst und dabei förmlich einlädt, sich in seiner rämlichen Weite zu verlieren und das Gefühl von freiheit zu verinnerlichen: „You were lost on the road from a different way/Pushed too far from miles away/ Figure it out, Jules would say/ Take your time, ease up, and waste the day.

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