Wanda [28.10.2015: Orpheum, Graz]
Dezente Abnutzungserscheinungen am perfektionierten Modus Operandi schimmern zwar langsam durch die Lederjacke, spätestens wenn Marco Michael Wanda über das Publikum läuft ist dies aber für den Moment noch relativ egal: die Unterhaltungsmaschine Wanda liefert bis auf Weiteres reibungslos ab.
Fast 20 Minuten dehnen Wanda mit ‚Ich will Schnaps‚ den Schlusspunkt der regulären Setliste. Über ein elaboriertes Gitarrensolo verabschiedet sich die Band in einen psychedelisch ausufernden Jamteil – und ihr Sänger ins Publikum, hechtet in die Menge und lässt sich von euphorisierten Händen einmal quer durchs restlos ausverkaufte Orpheum tragen, bis er irgendwann sinnbildlich über allem steht, während die Wanda-Mania gefühtermaßen auf ihrem Zenit angekommen ist. Ob es in dieser Gangart tatsächlich noch weiter (nach oben) gehen kann, das interessiert an diesem Abend allerdings erst einmal kaum jemanden. Denn auch wenn Wanda selbst ‚Ich will Schnaps‚ schon beinahe postrockig aus improvisierten Klangfeldern in kräftig zupackende Klammergriffe umschwenken lassen und gerade in diesem abschließenden, weitläufigen Exkurs ihr packendes musikalisches Können in die Waagschaale werfen – in diesen besten Momenten gar die so gerne gehörten Vergleiche mit den Doors zulassen – im Grunde geht es selbst hier vor allem darum, das trinkfreudige Publikum zu bespaßen.
Wenige Wochen nach dem zu kurzen Gastspiel am Nuke Festival und auf den Tag genau 9 Monate nach dem letzten Headliner-Konzert in Graz ist dabei vieles beim Alten geblieben, einiges hat sich jedoch auch geändert. Das „Ausverkauft„-Schild konnte diesmal noch früher an die Tür gehängt werden als zuletzt, die Ansichten zum Thema Merch haben sich bei der Band um 180 Grad gedreht (schicke T-Shirts gibt es nun zu erwerben, die Plattenpreise sind auf ein gängiges Level gesunken), die Band umarmt sich zwischen der Trademark-Sauferei auf der Bühne (vor dem plakativen Kreuz aus leeren Alkflaschen) dafür immer noch so herzlich innig, ganz egal, dass der unermüdliche Stress der letzten Monate alle Musiker sichtlich gezeichnet hat. Weil eben: Dem Quintett scheint der Rock’n’Roll-Zirkus ohne Ermüdungserscheinungen immer noch zu taugen, die Leidenschaft hinter der Performance stimmt weiterhin von der ersten Sekunde an, professioneller denn je. Und diese Freude auf das enorm begeisterungsfähige Publikum überschwappen zu lassen, das gelingt dann eben auch weiterhin nahtlos. Die Stimmung ist grandios, den Abend mit Wanda zu verbringen ein Garant für ausgelassene Party-Atmosphäre. Ganz ungeachtet jener Phasen, die Wanda in den schwächeren Momenten des Abends dann doch ein bisschen wie Dienstleister und Animationsmaschinen erscheinen lassen.
Der dirigierte Refrain von ‚Meine beiden Schwestern‚ wird vom textsicheren Publikum etwa bereits vorab bis zur Übersättigung herbeigesungen. Geklatscht und geschunkelt wird nämlich generell ohne Unterlass, wenn das Keyboard und die stampfenden Drums gar zu dominant werden, hat das dann sogar etwas von einer ausgelassenen Hochzeitsband. Kein problem: Drumherum stapeln sich dafür die Hits, Evergreens und souveränen Routinenummern von ‚Amore‚ und ‚Bussi‚ zu einem schön schwitzenden Staffellauf der Ohrwürmer, der kaum Wünsche offen lässt.
Vor allem die nicht totzukriegenden Klassiker ‚Bologna‚ („99% Prozent sind Oachschlecha – der Rest steht hier“ kennt Marco Michael Wanda sein Publikum offensichtlich nur unzureichend) und ‚Auseinandergehen ist schwer‚ sind ohnedies Start-Ziel-Siege, herrlich auf das Wesentliche konzentriert, vor allem aber zu keinem Zeitpunkt auf die Brechstange angewiesen.
Warum ‚Luzia‚ also zweimal am Spielplan steht, erschließt sich dann zwar abseits der beidmalig feiernden Reaktionen des Publikums nicht wirklich, dass ‚Schickt mir die Post‚ erst als nur vom Keyboard getragene, freigeistige Interpretation interpretiert wird und dann sicherheitshalber doch noch die Standard-Version in voller Länge nachlegt, ebenso wenig. Dabei könnten es Wanda ohne Sicherheitsdenken ja eigentlich so famos. Wie man etwa anhand der herrlich relaxten Begegnung mit ‚Wenn ich zwanzig bin‚ vorführt, dem ganz und gar unpeinlich Laune machenden ‚A Hard Day’s Night‚-Cover oder einem energisch rausgehauenen ‚Bussi Baby‚, das mit ordentlich Live-Feuer unterm Hintern noch einmal deutlich besser zündet als auf Platte.
Dass die Wiener die enervierende Dauerrepetition ‚1, 2, 3, 4‚ am Ende erst Lippensynchron an der Studioversion spielen und dann noch einmal als aufransender Tritt aufs Gaspedal intoniert („Das war jetzt im normalen Tempo. Aber das ist scheiße. Jetzt spielen wir es schneller!„), hat hingegen ausnahmsweise seinen Grund (Wanda drehen an diesem Abend ein Video), macht die Sache aber eben nicht unbedingt kurzweiliger. Als dem Sänger dabei aus der übermütigen Menge ein Becher ins Gesicht gedonnert wird (freilich ist er zusehr Profi, um wirklich angepisst zu reagieren), folgt dennoch die Epiphanie des Abends: „Amore tut weh„.
Oder sollte es wohl, zumindest ein bisschen. Denn wie die Dinge bei ‚Ich will Schnaps‚ wohlüberlegt Richtung Exzess schielen, führt das eben auch vor, dass sich bei Wanda mittlerweile doch ein wenig die Gefälligkeit auf Kosten der (bisher zumindest effektiv suggerierten) Unberechenbarkeit eingeschlichen hat. Zurück bleibt die Unsicherheit, ob man das der Band nur bis auf Weiteres anstandslos nachsieht – oder ob diese Zuverlässigkeit nicht viel mehr ohnedies genau das ist, was man sich beim Kauf eines Tickets für ein Wanda Konzert erwartet oder erhofft. So oder so: Den Heimweg tritt man nicht mehr begeistert, aber rundum zufrieden an.
Setlist:
1. Luzia
2. Schickt mir die Post
3. Bleib wo du warst
4. Bussi Baby
5. Alarm!
6. Mona Lisa der Lobau
7. Meine beiden Schwestern
8. Stehengelassene Weinflaschen
9. Das wär schön
10. Auseinandergehen ist schwer
11. Ich will SchnapsEncore:
12. Bologna
13. A Hard Day’s Night
14. Wenn ich zwanzig bin
15. 1, 2, 3, 4
16. Luzia
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