Bohren & Der Club Of Gore – Patchouli Blue
Patchouli Blue mag versuchen mit einem diffusen – und letztendlich irgendwie doch passgenauen – Albumcover zu irritieren, schafft aber vor allem die Gewissheit, dass sich jede neue Bohren & der Club of Gore-Platte doch ein wenig anfühlt, wie nach Hause zu kommen. Selbst mit subtil verschobenen Nuancen.
Die Mühlheimer brechen auf ihrem achten Studioalbum natürlich abermals nicht mit einer immanenten Vertrautheit, für die ein unverwechselbarer Signature Sound bürgt.
Eine Grandezza wie Verwirrung am Strand ist etwa unmittelbar so durch und durch Bohren, dass es einmal mehr die Frage aufwirft, wie sehr eine einzige Band Synonym für ein ganzes Genre sein kann. Doch mit welch einer Anmut, Eleganz und unerschöpflichen Schönheit die Melodien bereits hier aus dem Saxofon und einem unendlich klassischen Vibraphon tröpfeln, ist eben auch einfach beispiellos – wie sich die Themen ohne zu drängeln anstellen, warten, um in der Finsternis schmeichelweich bezaubern und wärmen zu können, im besten Sinne rührselig, nostalgisch und trunken von Schwermut sind.
Glaub Mir kein Wort steht danach für die gerade eingangs düsterer gehaltene Ausrichtung der Platte, ohne aber im Ganzen tatsächlich in die plättende Dichte der Geisterfaust zu verfallen. Dann spielen Bohren & Der Club Of Gore an der verdächtigen Tiefe ein irgendwann doch so versöhnliches Noir-Märchen, das eine magische Pointe umgarnt, diese aber nicht erzwingt. Deine Kusine schreibt sich tatsächlich so und klingt mit seinen markanten Pianoakkorden dagegen wie eine Reminiszenz an Piano Nights (2014), dessen Gebläse als romantischste Träumerei anmutet, während Sollen es doch alle Wissen in seiner lockeren Nonchalance wie Schwarz/Weiß-Agentenfilmmusik auftritt, in der alle Opfer, Hinterbliebene und unglücklich Liebende gleichermaßen sind – Ermittlungen geraten da zur Nebensache, führen aber in den Jazzkeller.
Und wo es die eine Stärke von Patchouli Blue ist, altbekannte Elemente und vermeintliche Déjà-vus mit genügend Esprit zu umgarnen, um ohnedies bedingungslos gefangen zu nehmen (dort, wo freilich ohnedies kein Jünger der hauptberuflichen Entschleuniger mittlerweile ernsthaft noch nach radikalen Brüchen mit angestammten Trademarks suchen wird), sind da doch einige Momente, die zumindest vorsichtig überraschen – was beim wieder prominenteren Einsatz des Saxofons beginnen mag, sich auch über eine regelrecht psychedelisch angehauchte, neonfärbige Grundstimmung fortsetzt (siehe eben trotz allem: das nicht von irgendwoher kommende Artwork), und deswegen auch gar nicht notwendigerweise beim Hang zu kürzeren, phasenweise gar fragmentarischer gehaltenen Songs endet.
Total falsch beginnt absolut richtig mit einem einsam nachhallenden Gitarrenmotiv wie eine doomige Ballade aus Twin Peaks. Sanft greift ein Synthieteppich darunter, ein Piano begleitet traurig übernehmend über einem mutierten Fender Rhodes-Untergrund, bevor die typische Bohren-Ästhetik als (Patchouli) Blues mit den Mitteln des Jazz kurz die Schwere von Earth assimiliert und danach über ein somnambules schweigendes Saxofon, zeitlos gestrichenes Besenschlagzeug und melancholisch offene Saiten so atmosphärisch schreitet – doch das Ende des Openers in einem retrofuturistischen Blade Runner-Szenario aus der Ulver-Perspektive badet.
Der Titelsong beginnt wie eine geheinisvolle Elegie aus dem Land der Goonies, als würde die Nummer über ein Dark Wave-Meer im Zeitlupentempo treiben, unter dem Stranger Things passieren, bevor Badalamenti im Gore Motel absteigt. Bohren streicheln kurz massiv die 80er und liebäugelt dann doch mit der verschmusten Harmlosigkeit anachronistischer Wohlfühlzonen jenseits des Fernsehgartens. Geschmack hat man eben – oder definiert ihn.
Tief Gesunken hat wieder einen synthiesken Abgrund hinter der klassische Bühne, funktioniert aber wie eine Halluzination, wenn die Band den Mut zum Unausgesprochenen und auch beinahe Unfertigen andeuten: Songlängen von gerade einmal drei Minuten sind schon fast verwegen im Rahmen der subtilen Mittel. Deswegen wirkt Zwei Herzen aus Gold im delirianten Vintage als dezenter Horror und betörender Suspence trotzdem beinahe wie ein Zwischenspiel, bevor Sag mir, wie lang als zurückgenommene Nachdenklichkeit nach knapp der Hälfte vom patentierten MO zur postapokalyptischen Score-Dystopie mit verrucht-distanzloser Laszivität wechselt und den Nährboden auslegt, damit Meine Welt ist schön sich knapp zwei Minuten als Ambient-Maler für imaginäre Soundtrack-Landschaften betätigen kann, bevor sich die Band anmutig in angestammte Hoheitsgebiete legt.
Am deutlichsten aus dem keineswegs mehr hermetischen Klanguniversum fällt jedoch Vergessen & Vorbei, das auf einem pluckernden Elektro-Konstrukt fußend wie eine Downbeat-Erinnerungen an In the Air Tonight anmutet – wenn Bohren jemals nach strukturoffenen Jam klangen, dann hier – während ein Moog sich als tragendes Element beinahe spektakulär progressiv als instrumentale Premiere etabliert: Ein bisschen so, sls hätten sich Mogwai für die erste Staffel von Les Revenants in die Lounge begeben. Das muß man dann zwar nicht gleich als Palastrevolution deklarieren, aber mit Hochachtung anerkennen, dass Bohren & Der Club of Gore mit Patchouli Blue entlang minimalen Verschiebungen im Spektrum einmal mehr ihre Relevanz unterstrichen, und einer makellosen Diskografie eine weitere essentielle Facette hinzugefügt haben.
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