Deafheaven – Sunbather

von am 26. Mai 2013 in Album, Heavy Rotation

Deafheaven – Sunbather

4 Songs in 38 Minuten genügten Deafheaven 2011, um sich aus dem Stand als Hoffnungsträger des Black Metal zu positionieren. Zwei Jahre später sind die Amerikaner längst über die Spitze des Genres hinausgeschossen – und Black Metal nur noch der Ausgangspunkt für eine musikalische Tour de Force Richtung Postrock.

George Clarke  und Kerry McCoy haben seit dem wenig asketischen ‚Roads to Judah‚ mit Instrumental-Metal Bands wie Russian Circles getourt und auf Splitsingles mit Bay Area-Black Metal Gruppierungen ihren Postrock-Vorlieben gehuldigt indem sie Mogwai-Songs coverten. Shoegaze-Gitarristen wurden in der variierenden Bandkonstruktion rund um die beiden alleinherrschenden Lenker und ehemaligen Grindcore-Berserker von Deafhaven ausgetauscht, nachdem ihr ausschweifender Post-Black Metal allerorts Entzücken hervorrief und die junge Band im Sturm zu einer der heißesten Deathwish Inc.-Aktien mutieren ließ. Erwartungshaltungen wollen unter diesen Umständen erst einmal gestemmt werden. Das zweites Studioalbum soolle dies „faster, darker, a lot heavier and far more experimental„, gleichzeitig auch „lush and rock-driven, even pop-driven“ erledigen, versprachen Clarke und McCoy und haben Recht behalten: ‚Sunbather‚ ist die Summe all dieser Ausgangspunkte, ist dichter, vielschichtiger, detailverliebter, konzentrierter und variabler geworden als ‚Roads to Judah‚. Deafheaven klingen schneller und ausgebremster, heavier und gefühlvoller, experimentell und unmittelbar. Black Metal ist dabei endgültig nur noch der kleinste gemeinsame Nenner der sieben Kompositionen.

Mit denen ‚Sunbather‚ alleine deutlich länger ausgefallen ist als das Debütalbum der Band aus San Francisco. Beinahe doppelt so lange nehmen sich Deafhaven diesmal Zeit, um ihre scheuklappenbefreite Vision von Black Metal auszuformulieren, womit ‚Roads to Judah‚ ungerechtfertigterweise plötzlich ein wenig als Warm-Up wirkt, als weniger formvollendetes Vortasten in die zahlreichen  Möglichkeiten und musikalischen Interessensgebiete dieser Band. Dabei besteht ‚Sunbather‚ nicht einmal unbedingt aus mehr klassischen Songs als das Debütalbum, ungeachtet der bei annähernd zweimal so langen Trackliste.
Deafheaven verflechten die vier Herzstücke der Platte mit ausgebreiteten Instrumentaltracks, man kennt das ähnlich von gar nicht so weit entfernten Alben wie Godspeed You! Black Emperor-Comebackplatte ‚‘Allelujah! Don’t Bend! Ascend!‚. ‚Irresistible‚ schlägt seine Wurzeln derart als einnehmende, verträumte Schönheit aus sehnsüchtigen Gitarren- und Klavierklängen aus, ‚Please Remember‚ arbeitet mit Sprachsamples unter denen sich schiebende Noise-Schleifem aneinander aufreiben, Ambient-Drone nahezu, bevor aus kreischendem weißen Rauschen eine einzelne Akustikgitarre als Phoenix aus der Asche steigt und offene Akkorde einsam widerhallen. Ähnlich betreibt ‚Windows‚ seine bedrückende Atmosphärearbeit: eine Verschnaufpause mit unwirklichem Klavier und verstörenden Predigten über Jesus, die Bibel und die Hölle.

So sehr die drei kürzesten Stücke der Platte mit der großen Einheit ‚Sunbather‚ verschwimmen, intime Ruhepole und umwälzende Stimmungsverdichtungen bilden, so finden die beeindruckendsten Momente in den ausladenden Stützpfeiler der Platte statt, die sich fast ausnahmslos über die 10 Minuten Marke spannen. ‚Dream House‚ wütet derart gleich zu Beginn als mitreißendes Wechselbad der Gefühle und einem Hochgeschwindigkeits-Schlagzeug, dass sich ständig selbst zu überholen droht. Klassische Black Metal Muster werden hinten raus mit einer Zerbrechlichkeit ausstattet, die man im Genre selten findet: hier passieren Wolves in the Throne Room, Godflesh, Alcest und Mogwai zu gleichen Teilen. Überhaupt luggen die wenig puristischen Deathheaven beständiger denn je über den Tellerrand: der Titelsong mausert sich über sein monumentales IsisZwischenspiel (ungefähr: ‚Panopticon‚) zu einem epischen Finale im Postmetal und mutiert so zu einer unsagbar bestialischen Schönheit.

Vertigo‚ nutzt elegisch fließende Gitarrenlinien und treibende Spannungsbögen, bevor die Sound-Wände hochgezogen werden, plötzlich galoppierender Metalcore samt Coheed and Cambria-Solo und Windmaschinen anklopft, und Chöre den Gift spuckenden und keifenden Clarke willkommen heißen: das majestätische Szenario beginnt unvermittelt in die Untiefen des Black Metal zu rasen. Die Hälfte des Songs steht da allerdings erst noch bevor, Deafheaven nutzen ihn für einen beängstigend intensiven Husarenritt mit flirrenden Explosions in the Sky-Gitarren zur schwebenden Postrock-Großtat. Erhebend und brutal gleichermaßen.
Überall steckt dabei die gestiegene Selbstverständlichkeit im Detail, mit der sich Deafheaven mittlerweile in ihrem ausformulierten Genre-Amalgam bewegen. Dazu haben sich die Amerikaner markant verstärkt: Neo-Drummer Daniel Tracy veredelt den weiten Klangraum der Band zwischen knüppeldicken Blastbeats und variantenreicher Verzierung abwechslungsreich und gewitzt, verleiht der Band einen ernormen Schub an Dynamik.

So auch im abschließenden ‚The Pecan Tree‚ wo Deafheaven noch einmal mit aller Gewalt und Zuneigung vorführen, warum Pink das neue Schwarz sein kann. George Clarke, Kerry McCoy, Derek Prine und Daniel Tracy durchfluten die Finsternis abgeschotteter Genregrenzen mit weit ausholenden Melodien von betörender, strahlender Pracht. Was in einem Moment bedrohlich rasende Brutalität ist, kann im nächsten bereits in monumentale Eleganz zerflossen sein. Wenn ‚The Pecan Tree‚ aus seinem anmutigen Mittelteil noch einmal Kraft schöpft und über die letzten drei Minuten Intensität in Reinform prägt, ist das ein beispiellos erhebender Grenzgang. Nur ein Moment von so vielen, der mit mehr als einem Bein im Postrock die Frage in den Raum wirft: wann hat Black Metal jemals derartige Mengen an Endorphinen freigesetzt?

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  • Deafheaven - New Bermuda - […] himmelstürmender in die Weite ziehend auf der anderen: Deafheaven stemmen die Bürde von ‚Sunbather‚ im Ausformulieren der Extreme, vergessen…
  • Deafheaven – Ordinary Corrupt Human Love - HeavyPop.at - […] der triumphale 2013er-Wegbereiter Sunbather der gleißende Sonnenstich war, ist Ordinary Corrupt Human Love nun wohl das wilde Bad in…

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