Drangsal – Harieschaim

von am 26. April 2016 in Album

Drangsal – Harieschaim

Als Drangsal rekonstruiert Max Gruber aus Herxheim den New Wave und Post Punk der 1980er mit viel Leidenschaft, einem beachtlichen Händchen für Ästhetik und mit einem verinnerlichten Verständnis für die Materie. Harieschaim serviert hinter seinem fundiert inszenierten Retrosound so eine beachtliche Anzahl an Ohrwürmern, ist aber paradoxerweise wohl dennoch vor allem als Versprechen an die Zukunft zu sehen.

Die Referenzlastigkeit von Harieschaim springt einen gleich eingangs förmlich an: Allan Align – nichts weniger als ein astreiner Hit! -läuft mit spitz zugeschnittenen, hallenden Post Punk-Gitarren, einem trocken-hibbeligen Bass und dängelnden Synthieflächen über dem zackigen Drumbeat mitten hinein in die Nachlassverwaltung von The Cure. Auch Der Ingrimm operiert in diesen Regionen, explodiert jedoch hinten raus umso hemmungsloser rockend. Später schieben sich deswegen neben Robert Smiths Institution noch ähnliche übliche Verdächtigen wie New Order, XTC, The Smiths, oder Depeche Mode im prägenden Soundbild weiter nach vor, wo die 80er grundsätzlich schillern wie ein selbstbewusst funkelndes Neonschild.
Ja, Hariescheim ist alleine klangtechnisch eine nahezu formvollendete Anlehnung an die kajalgeschminkte Blässe der New Romatic, an den Drang der Wave-Epoche, eine fast schon fiebrige Erweiterung von Synth-schwangerem Pop: Alleine diese aus der Zeit gefallene Ausstrahlung und Atmosphäre wird die Platte im Langzeitgedächtnis verankern.

Wichtiger aber ist, dass das mit einem durchaus beeindruckenden Gespür für zündende Melodien und Hooks daherkommende Songwriting dahinter nicht an der markanten Ästhetik und zum Konzept gehörenden Attitüde scheitert – wobei die eigentlichen Stärken dann gar nicht unbedingt bei den offensichtlichsten Kandidaten liegen.
Sicher: Zerrissen pumpende Genre-Hits wie Moritzzwinger, die mit geschlossenen Augen abgehende Glanztat Schutter oder die in melancholischen Zwischentönen schillernde Brechstangen-Single Do The Dominance festigen den Eindruck einer sowohl die Charts ideal beliefernden, wie auf ordentlich Indie-Substanz setzende Zeitkapsel-Fundstücke. Doch gibt sich Drangsal hier bei aller Schmissigkeit (die man so dann ja auch doch nie und nimmer vermissen möchte) eigentlich doch leichter auszurechnen, als es Hariescheim vielleicht unbedingt gut tut.
Etwa das feine Hinterkaifeck hätte durch mehr Gefährlichkeit, mehr Mut zur Eskalation und zum ungemütlichen Risiko in der von Markus Ganter betreuten Produktion wohl noch weitaus mehr von seinem Potential abrufen können. (Nachzuhören auch, wenn die angehängten Demos einzelner Songs weniger sauber, aber sogar noch faszinierender zünden als die finalen Studioversionen. Dass den Nummern eine Prise an nihilistischem Exzess irgendwo im Spannungsfeld von Iceage-Boss Elias Bender Rønnenfelt und dem giftigen Biss der aktuellen Stuttgart-Szene rund um Die Nerven gutgetan hätte, kann man sich nur zu verlockend vor dem inneren Auge ausmalen).
Immer wieder bleibt deswegen im Hinterkopf der Ausblick, wie viel fulminanter Harieschaim sogar noch hätte werden können, wenn Drangsal sein Debüt in die Hände von jemanden gelegt hätte, der sein Songwriting fordernder, eckiger und unberechenbarer ausgelegt hätte – ohne die durchaus vorhandenen konventionellen Vorzüge der Arbeit des durch Casper oder Tocotronic erprobten Ganter vollends unter den Tisch kehren zu wollen, landet man immer wieder bei der Aussicht, wohin dieser gefühltermaßen im Idealfall nach den polarisierenden Extremen greifende Rohdiamant Drangsal in Zukunft wohl noch wachsen können wird.

Letzten Endes ist es jedoch ohnedies viel falscher Hariescheim auf derart hohem Niveau jammernd Vorwürfe dafür zu machen, was es noch besser machen könnte, als sich lieber bis über beide Ohren in die Qualität dessen zu verlieren, was das Album so meisterhaft schafft: Geistesblitze wie das Bowie-Saxofon über dem NDW-Ausreißer Ich will nur Dich, das fantastische melancholisch-vielseitige Highlight Love Me Or Leave Me Alone mit seinem aus dem Nichts kommenden, notgeil-verzaubernden Gitarresolo oder das zum Noise schielende Industrial-Intermezzo Sliced Bread #2 sind neben den vorauseilenden Hits nicht nur die insgeheimen Eckpfeiler dieser Platte, sondern auch anachronistische Sternstunden für das Jahr 2016.
Nach unheimlich knackigen, trotz aller Assoziationen letztendlich vor allem das eigene Drangsal’sche Profil schärfenden 31 Minuten steht insofern ein immenses Suchtpotential, das jedes subjektive Manko ohnedies nahezu unmittelbar frisst. Und bevor man sich versieht läuft die Platte auf Dauerrepeat, ohne unbedingtes Verlangen zu den Referenzgrößen zu wechseln.
Insofern gilt auch: Selbst wenn da also die Erkenntnis wuchert, dass Harieschaim mit seinem die Aufmerksamkeit auf sich ziehendem breitenwirksamen Können vielleicht nichtsdestotrotz das ideale Debütalbum ist, um die schillernde Figur Drangsal zu positionieren, aber mutmaßlich eben gerade auch deswegen noch lange nicht den künstlerischen Zenit des Max Gruber ablichtet, bleibt zwar immer noch abzuwarten, ob kommende Nachfolgealben tatsächlich ernten werden, was Harieschaim sät (wovon jedoch anstandslos auszugehen ist), dass dies jedoch für den Moment (und genau den zelebriert dieser Einstand so zeitlos) wahrscheinlich ohnedies keine Rolle spielt. Was nämlich so oder so bleiben wird, sind diese zehn wie vergessene Perlen aus den 80ern schimmernden Song-Kleinode, die einem keiner mehr nehmen kann.

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