Earth – Full Upon Her Burning Lips

von am 28. Mai 2019 in Album

Earth – Full Upon Her Burning Lips

Ist Full Upon Her Burning Lips standardisiertes Malen-nach-Zahlen oder pur destillierte, pragmatische Earth-Essenz? Es braucht ein wenig Abstand, um guten Gewissens behaupten zu können: Zweiteres, doch!

Zuerst ist da nämlich beinahe zwangsläufig eine gewisse Enttäuschung, dass Dylan Carlson seine Band zurück zu den absolut puristischen Wurzeln ihrer Wiedergeburt führt, indem er Aspekte bewusst zurücklegt, die auf allen Alben seit spätestens The Bees Made Honey Out of the Lion’s Skull eine Rolle spielten.
Denn dass Earth seit diesem definitiven Meisterwerk auch Impulse und Einflüsse von außen brauchen würden, um per se spannend zu bleiben, war wohl nicht zuletzt Carlson selbst klar. Keineswegs umsonst hat er das zweiteilige Angels of Darkness, Demons of Light 2011 und 2012 mit dem Einsatz von Lori Goldstons Cello und Bässen schwanger gehen lassen, auf dem auch schon fünf lange Jahre zurückliegenden Primitive and Deadly über Mark Lanegan den Gesang als prägende Komponente eingeführt, auf Concrete Desert mit The Bug geflirtet oder über sein jüngstes Soloalbum Conquistador mit der wunderbaren Emma Ruth Rundle kooperiert.

Gerade in dessen ansonsten minimalistischen Ansatz liegt nun aber auch die Wurzel von Full Upon Her Burning Lips. Denn die verhältnismäßig lange sinnierende Ruhezeit von Earth hat eine durchaus wundersame – auch enttäuschen könnende – Kehrtwende in der Ausrichtung der Band herbeigeführt, die auf Revolutionen dezidiert verzichtet, jede Ablenkung vom Gerüst aus staubigen Gitarren und schleppenden Drums, apokalyptischen Riffs und trägen Rhythmen, atmosphärischen Melodien und stoischen Bewegungen, befreit. Purer und spartanischer klangen Earth insofern seit Hex; Or Printing in the Infernal Method nicht im Deklinieren ihres psychedelischen Western Doom, ihres skelettierten Americana-Stoner-Drone, der sich wieder mit so unendlich viel ambienter Geduld ausbreitet, als würde er seit Äonen auf dem Planeten wandeln und auch noch hier sein, wenn längst alles menschliche von ihm verschwunden ist.
Alben, die derart unverfälscht der Kern eines Bandcharakters untersuchen, wie Full Upon Her Burning Lips dies tut, müssten eigentlich zwingend selbstbetitelt sein. Zumindest verdeutlichen die zwei sinnierenden Schöpfer Carlson und Adrienne Davies am Cover abgelichtet, wie persönlich der Fokus der Platte tatsächlich zu verstehen ist.

Was sich die beiden dabei sicherlich (und grade auf die ersten Durchgänge) gefallen lassen müssen, ist der Vorwurf, das es schon schade ist, dass Earth ihrem Signature Sound diesmal keinerlei neue Facetten hinzufügen wollen und Full Upon Her Burning Lips bei flüchtiger Betrachtung nur als aufgewärmtes Potpourri typischer Trademarks anmutet. Man kennt die Motive und Ästhetik der Band eben längst, und wenn jegliche Überraschungen ausbleiben, wirkt diese Zuverlässigkeit schon fast zu vertraut.
Dazu kommt, dass Full Upon Her Burning Lips gerade über die doch ungewohnt ausführliche Länge von 63 Minuten im archaisch-reduzierten instrumentalen Klanggewand und repetitiv-monotonen Auftreten doch auch eine ergiebige Gleichförmigkeit praktiziert, ohne deswegen tatsächlich leere Meter zu vermessen: Die richtige Grundstimmung beugt jedoch der Erschöpfung vor.
Warum diese Konzentration auf die eigene Essenz letztendlich (und mit ein wenig Distanz) allerdings doch funktioniert, liegt am bisweilen bärenstarken Songwriting, das in seiner meditativ entspannten Zurückhaltung und tranceartigen Tiefenwirkung gerade als mystisches Ganzes immer wieder in seinen Bann zieht, darüber hinaus aber auch einige der besten Szenen hofiert, die Earth in ihrer Discografie zu bieten haben. Etwa, wenn The Colour of Poison zwischen abgehakter Motorik und abgeklärter Badass-Coolness geradezu ikonisch groovt, oder A Wreched Country of Dusk mit einer andersweltartigen Schönheit versöhnt.
Drumherum ist es alleine faszinierend, wie unheimlich detailliert und akribisch eine an sich so simpel-intuitive Musik letztendlich sein kann, wie viele Nuancen und subversive Dynamiken es zu entdecken gibt. Das Ergebnis ist deswegen imaginativ fesselnd und in seiner Mitte angekommen absolut erfüllend, es nährt vor allem mit jedem weiteren Besuch die Erkenntnis: Earth brauchen also kein Spektakel, keine Gimmicks oder Ausschmückungen, um eine vermeintliche Unterwältigung in eines ihrer ganzheitlichsten Alben zu destillieren. Full Upon Her Burning Lips ist schlichtweg eine unerwartet befriedigende Erfahrung.

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