Algiers, Halal Hardcore [18.10.2023: Orpheum Extra, Graz]

von am 20. Oktober 2023 in Featured, Reviews

Algiers, Halal Hardcore [18.10.2023: Orpheum Extra, Graz]

The Time for Art is Over“? Algiers machen auf der Tour zu ihrem schwierigen, streitbaren vierten Studioalbum Shook auch im Orpheum Extra Halt – und sorgen dabei für klare Fronten.

Den Einstieg in den Abend erledigt jedoch erst einmal das bemüht brachial benannte Wiener Duo Halal Hardcore, das zumindest aufgrund seiner polarisierenden Wirkungsweise als Support passt.
Warum die FM4-taugliche Kombination aus unoriginell wummernden Baukasten-Beats und unentwegt variationslos entlangdudelnden Gitarrenlinien, garniert durch sporadischen Slogan-Gesang, der vielleicht ja satirisch im Pop verwurzelt gemeinter Hipster-Dadaismus ist, jedoch ein gewisses Wohlwollen bei weiten Teilen des Publikums erzeugen kann, muß man keineswegs verstehen. Denn dass einem während des knapp halbstündigen Sets schlecht werden kann, liegt zwar wahrscheinlich primär am zu diesem Zeitpunkt noch penetranten Weihrauch-Geruch im recht ordentlich gefüllten Orpheum Extra, doch lässt sich über den Auftritt subjektiv gesehen trotz hoher Toleranzgrenze in Sachen Ambivalenz praktisch nichts Positives berichten.

Im akribisch organisierten, auch willkürlich zusammengetragen wirkenden Setlist-Chaos aus allen ihren Alben (rund um das im Fokus stehende, ambivalente aktuelle Shook) bürsten Algiers danach jene Verweigerungshaltung, der sie seit der 2017er Hit-Tauglichkeit von The Underside auf Power (das im Zentrum des Abends freilich trotzdem einen Fixplatz hat, wiewohl als archaische Interpretation jenseits des apokalyptischen Chor-Souls – wenn auch, weil die Gitarre von Lee Tesche im Mix zumindest vor der Bühne ziemlich untergeht) regelrecht missionarisch folgen, auf der aktuellen Tour zu einem vorläufigen Zenit: Das von Shop Talk-Bassist und Merch-Guy Tristan Griffin phasenweise zum Quintett erweiterte Quartett streut die rockig griffigen Momente wie A Good Man nur sporadisch in ein mitunter sperriges Konglomerat aus Rap-, Industrial- oder Postpunk-Stellschrauben ein und inszeniert sich (schon auch mit einer wahlweise prätentiösen oder philosophischen  Attitüde) im Genre-Schmelztiegel als multimedialer Brandbeschleuniger.

Algiers 2

Stets dafür sorgend, dass die Vorhänge um den Bühnenbereich geschlossen bleiben, um nicht die Aufmerksamkeit von der durch eine akkurat abgestimmten Videoshow begleiteten Performance (ja, tatsächlich!) zu lenken, achtet Franklin James Fisher etwa mit Kopftuch und Sonnenbrille auf eine betont zur Schau gestellte Coolness, loopt seinen Gesang nicht nur für das Jam-Finale von Death March und verlässt die Szenerie hinter die Leinwand um seine Person bis zu einem gewissen Grad aus einer Gleichung zu nehmen, die die Gast-Features von Shook als Samples integriert, verliert dafür aber den im Mundwinkel mitgebrachten Zahnstocher die gesamten eineinhalb Stunden der Darbietung nicht (und das abgeklärte Pokerface auch nur dann für ein fettes Grinsen, als Griffin seinen Mikroständer der Projektion von Backxwash zurechtrückt).

Algiers 3

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Während der im Netz-Shirt und Abend-Slippern keinerlei Interesse seinen Silent Alarm-Legendenstatus abseits meisterhaft aufblitzender Kompetenzen (in der Symbiose aus virtuos zappelndem Beckenspiel und fast roher Kraft an den Toms) aufzuwärmende Matt Tong gerade lakonisch die Muskeln spielen lässt, ist das Verhalten von Ryan Mahan dagegen komplett konträr, der im durchsichtigen Shirt exzessiv, exzentrisch und extrovertiert abgeht wie Schmitts Katze, in seinem ausgelassen hüpfenden Ausdruckstanz-Repertoire Gesten vom Rave-Wikinger bis zur ungelenken Liegestütz hat, und die sozialpolitisch angetriebenen Songs als hedonistischen Ausdruck der Körperlichkeit versteht: ein durchaus überraschender Kontrast aus kritischer Distanz und Hemmungslosigkeit.

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In einem künstlerisch ganzheitlichen Strom stechen einzelne Augenblicke dabei nur bedingt hervor, doch gewinnen vor allem die Vertreter des selbstbetitelten Debüts im aktuellen Outfit enorm an Präsenz, wenn beispielsweise Blood zum dystopischen Chain Gang-Gospel in martialischer Schwere mutiert oder das klatschend befeuerte Black Eunuch als Katharsis-Finale mehr noch als der famos in Stufen gezündete Titeltrack von There is No Year (2019) immer intensiver anwächst: Auf Platte mag die aktuelle Inkarnation von Algiers nur bedingt funktionieren, im Live-Gewand aber zündet die Evolution der Band schlüssig, zwingend und faszinierend, hat einen fesselnden Mehrwert.
Was im konkreten Fall in einem Abend kulminiert, der vordergründig an der eigenen Erwartungshaltung scheitern kann – oder aber diese auf spannende Weise übertrifft.

Algiers 8

Setlist (ohne Gewähr):
Irreversible Damage
Cry of the Martyrs
Irony. Utility. Pretext.
73%
Walk Like a Panther
Blood
The Underside of Power
I Can’t Stand It!
Cold World
Out of Style Tragedy
A Good Man
There is No Year
Bite Back
Death March

Encore:
Black Eunuch


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