Algiers – There is No Year

von am 31. Januar 2020 in Album

Algiers – There is No Year

The Underside of Power hatte es unter der unstillbaren Wucht seiner Ambitionen 2017 stilistisch noch förmlich zerrissen. Nun sprechen Algiers davon, lieber 20 unterschiedlich klingende Alben aufnehmen zu wollen. There is No Year ist insofern wohl das Gospel-Werk der sozialpolitisch unter Strom stehenden Band geworden.

Zumindest, wenn dieser auf einem düsteren Fundament des Postpunk und der Elektronik steht, sich im Industrial, Darkwave, Blues und Soul badet, das Endergebnis aber eben unter eine solch kohärente Atmosphärestellt und ein zurückhaltender gewordenes Songwriting stets einer klaren Linie folgen lässt, das eben einer futuristischen und beklemmenden Vision des Gospel dient.
Spätestens seit Can the Sub_Bass Speak? weiß man aber ja, dass es die Band nicht so gerne hinnimmt, ihre Musik kategorisch in Schubladen gepresst zu sehen. Vielleicht stellt deswegen auch Void den Closer – und fällt als enorm simpel gestrickter, flott und maschinell dröhnender Punker am durchaus eingängigen, aber auch kaum vielschichtig Dampf ablassenden Angriffs-Gaspedal mit seinem geradezu aufdringlichen Refrain aus dem restlichen Rahmen.
Das bricht eine gewisse zuvor gepflegte Gleichförmigkeit, wird die Masse auf kommenden Liveterminen auch ordentlich ankurbeln, weswegen die Funktionalität der Nummer klar ersichtlich ist. Auf There is No Year hätte die Nummer an sich jedoch nichts verloren, sie wirkt wie ein hinten nach angepappter Fremdkörper als Zugeständnis auf einem Album, dass viele Hörer, die nur über die Hits von The Underside of Power auf die Band aufmerksam werden, besänftigen soll. Insofern gut, dass Void nur auf den digitalen Versionen die Trackliste crasht und in der physischen Version teilweise höchstens als separate Single veröffentlicht wird: Die weitaus stimmigere Wahl.

Immerhin haben doch gerade Trabanten wie eben Can the Sub_Bass Speak? oder auch (den im Gegensatz zum aktuellen Albumtitel explizit auf Jahreszahlen bestehenden) 1st November 1954 und September 2017 offensichtlich für einen neuen Fokus in den Hauptschauplätzen gesorgt: There is No Year ist das bisher geschlossenste, homogenste und sogar zugänglichste Album der Band geworden, gewissermaßen auch der verlängerte Arm der Zusammenarbeit von Zeremonienmeister, Dompteur und inbrünstigen Antreiber Franklin James Fisher mit Produzent Randall Dunn, die auf Beloved (2018) in Form von Something About that Night bereits ihre Schatten vorwegwarf (und nun durch Ben Greenberg komplettiert wird).
Und diese Verdichtung tut Algiers gut, schöpft das Potential in der Konzentration effektiver ab, auch wenn sie das Spektakel damit in die Ecke getrieben minimiert. So provozieren die internen Reibungen keine Spannweite aus derartig massenkompatiblen Konsens-Tanzflächenfüllern wie der Titelsong des zweiten Studioalbums, dem Jazz von Hymn for an Average Man oder dem dramatische Gestus von The Cycle/The Spiral: Time to Go Down Slowly – aber sie pressen nun mit akzentuierterem Druck, programmierten Beats, dystopischen Synthies und nur weit hinten im Mix den Noise suchenden Gitarren detailliert vibrierende Elektroniksongs mit organischer Tragweite, die irgendwo doch die hypnotische Sogwirkung entwickeln, die TV On the Radio so nicht mehr hinbekommen.

Sicher ist das extrem eingängige Dispossession, mit seinem dramatisch am hämmernden Klavier streichelnden R&B-Konturen sowie dem erhebend aufmachenden Refrain samt dem begleitenden Chor (der sich wie alles auf There is No Year eher für die Destruktion anstelle der Hymnik entscheidet), ein waschechter Hit. Und auch das sinister und zärtlich aus der Steckdose rasselnde, am maschinellen Abgrund dröhnende Hour Of The Furnaces mit seiner apokalyptischen Ausgelassenheit („We all dance into the fire/ Lalalala“), der aus einer alternativen Realität der 80er herübershakende Elektropop Unoccupied mit seinen beklemmend arrangierten Texturen oder Repeating Night als abgedämpfte Annäherung an Preoccupations, Nine Inch Nails oder Radiohead mit seinen warm perlenden Gitarren sowie der trügerisch versöhnlich und sanft strahlenden Hook taugen als Aushängeschilder.
Doch die drängen sich als solche nicht auf, stehen wie alles hier im Dienste des großen Ganzen, das sich nicht auf Einzelsongs verlassen will. Dort, wo der digital pulsierende Titelsong seine Dynamik stets ändert, klatschend abtreibend energisch Tempo machend fast ausgelassen seine hingebungsvolle Leidenschaft dekonstruiert und Losing is Ours ein ruhiger, unterschwellig brodelnder Ort der Einkehr ist, reduziert und mit intrinsischen Spannungen schwelgend, bevor Nothing Bloomed sich aus der Faithless-in-hypnotischer-Haxan Cloak-Verschlossenheit windet, entschleunigt im Ambient der Keyboard-Albträume badet und drumherum die drückende Stimmung immer enger zieht.

Am deutlichsten wird diese neue Kompaktheit in der strukturellen Artikulation, jedes Element in den Dienst der Songs und diese Strenge dann dem übergestellten Gesamten unterzuordnen, im geradezu asketischen Klangraum Wait For The Sound, der sich im puren Minimalismus nur langsam entfaltet, ein bisschen Bassdrum und Klatschen die subtil texturierte, geduldig bis zum Score und Darkjazz reichende Nummer abgründig kontrastieren lässt, und durch feine Nuancen trotzdem soviel Seele in die Motorik bringt.
Diese Verortung ist sicher eine Herausforderung für viele Fans, die nicht bereits seit dem Debüt an Bord sind, doch gelingen dem Quartett deswegen auch einige der bisher stärksten Momente ihrer Karriere, die triumphal aus dem Kaleidoskop herausragen. Chaka verlässt die Disco der 80ern dort, wo John Carpenter dem Darkwave folgt, um Prince und Michael Jackson zu folgen, bis plötzlich ein psychotisches Free-Jazz-Saxofon das noisige aufgeraute Korsett platzen lässt. Das vorsichtige We Can’t Be Found klingt dagegen wie eine kaum greifbar werdende Erinnerung an die Sphären, die Fine Young Cannibals niemals in eine solch wundervolle warm und hoffnungsvolle Evergreen-Stimmung mitten in Twin Peaks getaucht haben, sobald die Backgroundstimmen für Sekundenbruchteile betörend unter die Melodie greifen,nur um sofort wieder zu verschwinden. Durch detaillierte Facetten wie diese wird There is No Light zu einem flüchtig bleibenden Grower, der durchaus eine gewisse Verweigerungshaltung pflegt, auch sich selbst gegenüber, den Mikrokosmos von Algiers aber akribischer und faszinierender blühen lässt als je zuvor. Und zu diesem Zeitpunkt hat man sich noch nicht einmal in das den Albumkontext umschließenden Gedichtekomplex Misophonia verloren, der mit seiner verschlingenden Epik alle Poren dieser Platte durchdringt.

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