2017: Honorable Mentions

von am 7. Januar 2018 in Featured, Jahrescharts 2017

2017: Honorable Mentions

Dass die vergangenen zwölf Monate nur eine äußerst überschaubare Anzahl an Alben ausgespukt haben, die tatsächlich Anspruch an einen gewissen Klassiker-Status angemeldet haben, wurde zumindest annähernd durch eine erfreulich konstante Dichte an rundum starken Veröffentlichungen im Jahr 2017 ausgeglichen. Weil da zwangsläufig nicht jede Herzensplatte in den Top 50 ihren Platz finden könnten, folgen an dieser Stelle gewohntermaßen unsere Honorable Mentions –  fünfzehn Werke in alphabetischer Reihenfolge, die nicht ihren Weg in die reguläre Rangliste gefunden haben, die man aber nichtsdestotrotz keinesfalls verpasst haben sollte.

Honorable Mentions | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 |

Algiers - The Underside of PowerAlgiers – The Underside of Power

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Eine der am öftesten bemühten Euphemismen rund um die Wahl von Donald Trump als 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika war ja jene Prognose, dass dies zumindest den Zündstoff für gute Zeiten hinsichtlich politisch motivierter Protest-Alben liefern würde.
Über ein Jahr später ist neben praktiziertem Slacktisismus, viel heißer Luft und trivialen Bagatellen bis auf weiteres jedoch kein neues Rage Against the Machine, The Shape of Punk to Come oder It Takes a Million to Hold us Back in Sicht, auch wenn sich einige Platten mal mehr mal weniger erfolgreich in dieser Kerbe abreagierten.
Es ist deswegen noch lange keine ausnahmslose Frage der Relation, dass das insofern mitunter relevanteste Album dieser Tage ausgerechnet von Algiers kam. Eine Band, die 2015 mit ihrem selbstbetitelten Debüt bereits eine vielversprechende Visitenkarte vorgelegt hatte, aber ihr tatsächliches Potential erst unter dem aktuellen gesellschaftspolitischen Druck (sowie dem Einstieg von Ex-Bloc Party-Drummer Matt Tong) abzuschöpfen begann. The Underside of Power lässt dafür Kategorisierungen ala Soul-Punk mühelos mit Ergänzungen wie Blues, Post-, Industrial oder Pop jonglieren, während Franklin James Fisher den stilistischen Tumult mit seiner leidenschaftlich inbrünstigen Stimme zusammenhält und über subversive Killerhits wie den Titeltrack sogar ins tanzbare Formatradio treibt. Dass die Kompositionen unter ihrer fiebrigen Dringlichkeit zu abrupt das Ruder zur jeweiligen nächsten Attacke herumreißen ist beinahe Teil des Systems: „I can’t stop going in and out of focus/ While you wait for the change/ This is total war on a promise/ Wail against the wall/ No, it’s never over/ And it never endsWe are the cycle that begins/ We are the spiral to the end“ croont Fisher deswegen am Ende so wunderbar apokalyptisch, eventuell ja nur noch einen Schritt vom hauseigenenThere’s a Riot Going, War oder The Times They Are A-Changin‘ seiner Band entfernt.

BNNT - MultiverseBNNT – Multiverse

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Seit _ _ sind ohnedies bereits mehr als fünf Jahre vergangen, als sich das polnische Duo BNNT mit Multiverse im Oktober 2017 endlich zurückmeldet – da kommt es auf ein paar Minuten zusätzlich auch nicht mehr an. Der Opener The Last Illiterate nimmt sich deswegen über zwölf Minuten Zeit, seine gespannte Stimmung über rollende Percussion und den stoisch hallenden Basston immer weiter aufzubauen, die Dynamiken zu verdichten, bis kein Blatt Papier mehr zwischen den aufgebauten Druck passt. Hypnotisch zögern Konrad Smoleñski und Daniel Szwed die unvermeidliche Erruption hinaus, doch plötzlich platzen BNNT doch über das psychotische Baritonsaxofon von Mats Gustafsson auf, wuchtig und schweißtreibend, lassen dieses in sich geschlossene Multiverse um einen brodelnden Kern aus groovend riffender Martialität kreisen, geformt aus fiebrigem Instrumental-, Experimental- und Noiserock mit avantgardistischer Drone- und Jazz-Patina.
Danach steigert sich BNNT auf teils selbst konstruierten Instrumenten in einen improvisierten Rausch, wunderbar organisch produziert und mit einer mächtig schiebenden Intensität, die andere Band mit zehn Mann mehr im Lineup nicht beschwören können. Sickness Begins When One Starts to Think zirkelt sich danach mit mathematischer lauernder Präzission um Samples aus The War of the Worlds, böse schiebend, maschinell langsam bohrend, die Dissonanz kreift den Kapitalismus als Übel der Welt an, bevor Consider a Single Wave Relieved the Pressure on the System sich aus einem ambienten Schleier heraus gebiert – hinter den Klangwelten schickt die trippige Rhythmik in ihrer simplizistischen Klarheit das Kopfkino auf Reisen. Schon zu diesem Zeitpunkt ist vor allem das brillante Zusammenspiel aus dem kreierten Soundbild und dem prägnanten Schlagzeug beispiellos, spätestens die beiden abschließenden Songmonolithen God Is Nothing More Than an Acoustic Hallucination und If the Universe Is Expanding, Are We Drifting Apart Too? lösen in ihrer geduldig augebreiteten Vehemenz jedoch jedwedes strukturelles Denken auf: Diese Platte scheint tatsächlich ein wenig außerhalb klassischer Raum/Zeit-Konventionen zu existieren.

Elbow - Little FictionsElbow – Little Fictions

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Nicht, dass man sich tatsächlich Sorgen gemacht hätte, dass Elbow in ihrer knapp 27 jährigen Geschichte ihr erstes schlechtes Studioalbum abliefern hätten könnten. Aber ein wenig skeptisch durfte man durch Umstände wie Guy Garveys Soloausflug Counting the Squall inklusive langer Stammband-Auszeit sowie vor allem angesichts des Ausstieges von Drummer und Gründungsmitglied Richard Jupp durchaus sein. Immerhin gilt die Band aus Ramsbottom nicht umsonst als empfindlich verschweißtes Kollektiv, das basisdemokratisch aus den Talenten und Fähigkeiten von fünf Jugendfreunden wächst. Jedwede Umbrüche und Abweichungen von der Norm hätten also nur zu leicht zu einem Ungleichgewicht in der Balance führen können.
Little Fictions ist insofern nicht nur ein zutiefst beruhigendes Album geworden, indem es – auch wenn hier alleine schon Millionen Briten empört aufschreiben werden – als beste Platte seit [amazon_link id=“B002HDS8JS“ target=“_blank“ ]Leaders of the Free World[/amazon_link] in der makellosen Discografie glänzt. Es ist auch ein geradezu paradox überraschendes Werk geworden. Weil Elbow hier über 49 Minuten immer wieder so demonstrativ dem Rhythmus folgen, ihre Songs rund um Loops und kreisende Beats aufziehen. Das führt zu Glanzstücken wie Magnificent (She Says)Trust the Sun oder dem schier brillanten Titelsong, in denen Elbow zwar generell nach typisch-vertrauten Mustern arbeiten, sich aber im Detail und Grundriss ein Stück weit neu erfunden haben – und deswegen befreiter und auch ambitionierter klingen als zuletzt.
Es wäre übertrieben (und Jupp gegenüber wohl auch ungerecht) der Band zu attestieren, dass sie sich mit der Trennung von ihrem Stamm-Schlagzeuger gesundamputiert hat. Richtiger ist wohl eher, dass die Ausgangslage nach dem siebten grandiosen Album am Stück noch optimistischer in die Zukunft der wohl zuverlässigsten Poprock-Band von der Insel entgegenblicken lässt. Volltreffer Nummer Acht steht jedenfalls mutmaßlich nichts im Weg.

Glassjaw - Material ControlGlassjaw – Material Control

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Wo das großartige Color FilmDebüt Living Arrangements in seiner eklektischen 80er-Sucht vordergründig nach dem hemmungslosen Spaß an der Sache klingt, der Richard Penzone und Daryl Palumbo enorm leicht von der Hand gegangen zu sein scheint, ist das erste Glassjaw-Album seit fünfzehn Jahren als schwere, kaum mehr für möglich gehaltene Geburt vor allem ein harter Arbeitssieg geworden.
Ein in die Mangel nehmender Kraftakt, der wohl primär auf die Vehemenz von Justin Beck – mittlerweile hörbar im Alleingang für das Songwriting der New Yorker zuständig – zurückzuführen ist: Über den Schlagzeugsessions von Billy Rymer hat er Glassjaw einen unheimlich dick angerührten Sound verpasst, der sich aus herrlich diffusen Noisegitarrenattacken und mehr noch einem schlichtweg monströsen Bass speist. Das Ergebnis ist vielleicht nicht die Platte, auf die man als Fan von leidenschaftlich emotionalisiertem Posthardcore eineinhalb Jahrzehnte gewartet hat – aber eben (dennoch oder gerade deswegen) eine enorm spannende und faszinierend auftretende Intensivkur in Sachen heavy brütender Gefühlskonzentration, das rund um das überragende Doppel aus Golgotha und Strange Hours nicht nur zu einem der verstörend-fesselndsten Comebackwerke des Jahres wird, sondern den weiteren Glassjaw-Wegen eine ideale Startrampe bietet: Der Knoten sollte nach diesem Mahlstrom geplatzt sein, Beck und Palumbo haben sich von ihrem ikonischem Erbe freigeprügelt, ohne sich davon abzuwenden.

Rafael Anton Irisarri - The Shameless YearsRafael Anton Irisarri – The Shameless Years

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Stärker als viele vorherige Jahrgänge schien der Ambientsektor 2017 um Themen zu kreisen, die sich mit einer nostalgischen Melancholie und reflektierenden Vergangenheitsaufarbeitung befassen. Implizit oder explizit dräute da ein stetes Meditieren über Vergänglichkeiten über Platten wie William Basinskis Bowie-Tribut A Shadow in Time, The Inward Circles‚  melancholisches Geschichtsstunden-Doppel And Right Lines Limit and Close All Bodies und Scaleby oder Ryuichi Sakamotos so variabel zwischen Genialität und Füllern wechselnde Genesung [amazon_link id=“B06XK2ZFTH“ target=“_blank“ ]Async[/amazon_link] als heimlicher Sieger der Herzen.
Auch The Shameless Years schimmerte in dieser thematischen Kerbe („Pushing 40 as this album was being made, the composer is constantly aware that he’s already outlived his own father, who died at the age of 32„), zudem mit dem zusätzlichen Fokus auf die aktuelle sozialpolitische Lage („a reflection of the era of shamelessness we’re currently living in; a time of fake news and alternative facts„) – die Zusammenarbeit mit dem Iraner Siavash Amini ist auch als Statement zu verstehen! – tat dies aber mit einer gleißenden Klarheit und Prägnanz, die Workaholic Irisarri abermals über ein Gros der restlichen Szene hievte.
Als würde sich die Perspektive von Interstellar und Sunshine über die Synthiewelt von Twin Peaks legen, strahlen diese (eigentlich zu kurz geratenen) 45 Minuten eine schier überwältigende Dichte aus, umschließen mit einer assoziativen Intensität und subtil funkelnden melodischen Schönheit, die längst zum Markenzeichen von Irisarri als eine der Genre-Instanz dieser Tage geworden ist.

James Holden & the Animal Spirits – The Animal Spirits

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Die womöglich vollendetste Zäsur der vergangenen Monate: James Holden hat mit The Animal Spirits die (zwar nicht aus heiterem Himmel kommende, in dieser Konsequenz aber kaum abzusehende) Wandlung von DJ/Elektroniker mit einer meisterhaften Selbstverständlichkeit vollzogen: Von der Loop-geprägten Clubkultur kommend steht Holden plötzlich einem technisch makellos aufzeigenden Mucker-Ensemble als Leader vor, das in einem hypnotisch variierenden Sog neun improvisierte Momentaufnahmen zwischen trippigen Krautrock-Experimenten, neo-psychedelischen Jazz-Anleihen und surrealen Instrumentalrock-Skizzen eingefangen hat.
Folk-Trance“ nennt der sich dem homogenen Gesamtgefüge und Feeling unterordnende Holden das vage – und hat damit nicht nur dank all der herbeigeträumten Flöten und sonstigen Bläser Recht, sondern auch dadurch, weil er all die restlichen Facetten der Platte mit dieser Definition ihr spirituelles Mysterium belässt. Inklusive zahlreicher Überraschungen im Detail.
The Animal Spirits beschwört alleine im Titelsong modullierte Space-Anachronismen neben ColinEx Eye“  Stetson‚esken Delirien, erzeugt in The Neverending eine pulsierende Digitalisierung auf organischem Weg oder fängt in seinen besten Momenten sogar ein zutiefst ernüchterndes Postrock-Phase auf – und macht durch transzendental durch die Nacht schweigende Space-Mediationen wie Pass Through The Fire sogar die obligatorische diesjährige Nennung von Mogwai in dieser Liste obsolet. Chapeau – ein ewiges Chamäleon bewahrt sich eine beispiellose Dynamik und findet subjektiv einen neuen Zenit.

Lotte Kestner – Off White

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Anna-Lynne Williams kann 2017 so einiges von ihrer persönlichen To-Do-Liste streichen. Ein Mehr an Aufmerksamkeit durch den prominenten TV-Einsatz ihrer unsterblich schönen Cover-Interpretationen: Check! Ein drittes Poesie-Buch names [amazon_link id=“138716564X“ target=“_blank“ ]Blind Accidents[/amazon_link]: Check! Es bereits zur Hälfte durch [amazon_link id=“349924957X“ target=“_blank“ ]Infinite Jest[/amazon_link] geschafft zu haben: Check! (Und absoluten Respekt von dieser Stelle aus dafür!) Den Bund der Ehe eingegangen zu sein: Check! (Von hier aus deswegen: Herzliche Gratulation auch!)
Für die Allgemeinheit aber wahrscheinlich am efreulichsten: Mit dem betörend anmuten Off White hat die ehemalige Frontfrau der ewig unter Wert verkauften Trespassers William ein neues Indie/Folk-Herzenswerk vorgelegt, dass sich wie alle tröstenden Kleinode der Frau aus Seattle anschickt, den Hörer ein Leben lang durch subtile Streicheleinheiten begleiten zu können. Dass die feenhafte Leisetreterein im Zuge dessen sogar mit ihrer ersten Tour durch Asien liebäugelt, lässt durchaus auf eine Art neidisch werden, die das umsorgende Off White so eigentlich niemals zuließe, aber: Ein paar Europa-Auftritte würde man halt doch auch wieder einmal verdammt stark begrüßen. Vielleicht ja ein Punkt für die To-Do-Liste für 2018.

Daniele Luppi & Parquet Courts – Milano

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Nur wenige Monate nachdem Andrew Savage mit [amazon_link id=“B074T8XN5M“ target=“_blank“ ]Thawing Dawn[/amazon_link] debütiert hat, finden sich seine Parquet Courts 2017 in einer unerwarteten Rolle wieder: Der italienische Multiinstrumentalist, Komponist und Produzent Daniele Luppi hat die Post-Punk-Garager für die Hauptrolle seines zweiten Kooperationsalbum auserkoren. Ein Konzeptwerk über „misfits, fashionistas, outcasts and junkies – an emerging youth culture struggling to be heard amidst the rapid gentrification – of/ in mid-1980s Milan„.
Eine pulsierende Umgebung, in der sich auch Yeah Yeah Yeahs-Frontfrau Karen O merklich wohl fühlt. Nachzuhören etwa in immer wieder aufblitzenden Wechseln im Leadgesang, wie etwa dem nervös flitzenden Talisa oder dem zwielichtigen Flush. Songs, die mit ihrer unterkühlt stichelnden Drahtigkeit und stylishen Optik allen Beteiligten schmeicheln.
Am Ende entfernt sich die Platte zwar immer deklarierter vom Album-Feeling und lässt seine Bausteine lose um sich selbst kreisend ausfasern. Selbst dann legen jedoch sogar legere Freejazz-Improvisationen wie die dängelnde Gitarren/Saxofon-Kommunikation Café Flesh in ihrer Ziellosigkeit eine visionäre Stringenz an den Tag, die nahverwandten Vorgängern wie Human Performance, Sunbathing Animals, Mosquito oder dem in in Vergessenheit geratenen Rome dieser Form abgingen. Ganz zu Schweigen von authentischen Talking Heads-Lebensgefühl-Rekonstruktionen wie Pretty Prizes – ein hervorragender Hit, der dieser entspannt aus dem Handgelenk geschüttelten Platte wie nebenbei zu passieren scheint und eben zeigt: Der wahre Gewinner hier ist das Kollektiv.

Necrot – Blood OfferingsNecrot – Blood Offerings

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Was für eine unfassbare Schwemme an bockstarken Genreplatten: Ob nun Obituary, Immolation, Morbid Angel oder Artificial Brain – sie alle (und mehr) würden hier im Grunde zumindest eine längere Erwähnung mit ihre neuen Platten verdienen. Aber gut, gefühltermaßen ließen sich die heurigen Jahrescharts notfalls auch mehr oder minder souverän ausnahmslos mit gelungenen Death Metal-Veröffentlichungen zusammenbasteln.
Und dennoch besteht das von einer Veteranenriege eingeprügelte Debütalbum Blood Offerings auf dieses Recht noch ein Stück weit energischer, reklamieren Necrot an dieser Stelle doch keine Positionierung als exemplarische Stellvertreter für die zahlreichen unter dem Radar durchgegangen sein müssenden Alben – sondern fungieren als ein aus der hochwertigen Masse hervorstechechendes Paradebeispiel. Das liegt auch am Überraschungsmoment (das besser informierte Kreise nach einer Reihe toller Demos und Kurzformate freilich nicht erwischen konnte), hat aber noch weitaus simplere Gründe: Blood Offerings peitscht grandiose Riffs (mit Ausrufezeichen!) ohne Ende voran, lässt Hooks hageln und growlt enorm kickende Melodien hinter ein ordentlich unter Agressor-Dampf stehendes Songwriting, das im Grunde wie ein Reminiszenz-Potpourri an legendäre Genregrößen konzipiert ist: Von Bolt Thrower bis Autopsy – sie alle haben ihre Oldschool-Spuren in der DNA von Necrot hinterlassen, vermeiden es aber, das Kopiisten-Raster auszunutzen.
Ohne die Kombo an die Limits ihrer Möglichkeiten zu treiben, vermisst Blood Offerings zwischen einem reichhaltigen Erfahrungsschatz und einem mitreißenden Hunger damit die Spannweite vom traditionsbewussten Tribut zur hauseigenen Klasse anhand einer mitreißenden Dynamik ansatzlos und funktioniert damit gewissermaßen als Death-Äquivalent zur letztjährigen Schönheit Sumerlands.

Oxbow - Thin Black DukeOxbow – Thin Black Duke

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Thin Black Duke grenzt hinter der nach wie vor schier beeindruckenden Präsenz von Frontman Eugene S. Robinson – der hier faucht, flüstert, winselt, flaniert, spukt und bedroht, als wäre er nie weggewesen und gäbe es kein Morgen! – ein bisschen an ein Wunder. Immerhin hätten wohl die wenigsten satte zehn Jahre nach dem Vorgänger [amazon_link id=“B005IEOQLC“ target=“_blank“ ]The Narcotic Story[/amazon_link] noch von ein Studiocomeback der Institution Oxbow zu träumen gewagt.
Noch besser: Das siebente Album des Quartetts aus San Francisco stemmt die Erwartungshaltung einer überraschenden Vorfreude ansatzlos, indem es sich auf klassische Motive beruft („I was inspired by pieces like Bach’s Goldberg Variations and the formal technique in classical music where a small idea, a kernel, is reiterated, morphed, expanded and truncated, to make a piece of music permeated with the potent perfume of that small element. erklärt Robinson), um einmal mehr eine unkonventionell experimentierende Melange aus Avantgarde, Rock, Blues und Metal-Versatzstücken zu verschmelzen, wie das sonst eben keine andere Band da draußen wagt. Und trotzdem ist Thin Black Duke zugänglicher und wohlwollender als vielleicht alles, was Oxbow bisher so an Schonungslosigkeiten ausgekotzt haben. Nicht selten wirkt Thin Black Duke als hätte Tom Waits Pearl Jam dazu geraten, ihre Discografie auf einer versöhnlichen Reminiszenz an die Ästhetik von Do the Evolution aufzubauen – kann man machen! Immer wieder laden nonchalante Bläsersektionen und Streicherpassagen da zu einer pfeifenden Bekömmlichkeit ein, die so absolut gar nichts mit Altersmilde oder Gefälligkeit zu tun hat, sondern eine hintergründig infektiöse Revitalisierung alter Tugenden bedeutet. Auf seine eigene schrullige, rumpelnde Art eben: Einfach wunderbar!
Überdeutlich wird das auch daran, dass Aaron Turner für die Veröffentlichung des Thin Black Duke-Rückkehrers sogar extra sein eigentlich 2012 zu Grabe getragenes Label Hydra Head Records in gewisser Weise wiederbelebt hat.

Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs – Feed the RatsPigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs – Feed the Rats

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Wer seine tonnenschweren Stoner-Riffkaskaden am liebsten von jener proto-doomigen Walze serviert bekommt, die im trippigen Rausch gleichermaßen durch die Gefilde von Uncle Acid, Electric Wizard und Motörhead brettern kann, der durfte schon im Jänner die Nackenmuskulatur und den psychedelischen Nebenmaschine anwerfen. Die Quintett von Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs war auf seinem Debüt schließlich schlau genug, über den Anheizer des neugierig machenden Bandnamens sowie des das Zielpublikum einfangenden Artworks ohne weitere plakative Umschweife direkt auf den Punkt zu kommen: Feed the Rats kickt seine Retro-Heavyness von der ersten Sekunde mit ordentlichem Druck aus den Boxen und lässt darüber die hallschwangere Hypnose kreisen, osziliert im 70s-Vibe irgendwo zwischen Black Sabbath, Part Chimp und den schimmernden Nebelschwaden von Monster Magnet.
Platz für elaborierte Solos oder durchatmende Passagen gewähren die Briten in diesem Umfeld keine, auch wenn sich zwei der drei aufgefahrenen Songs über jeweils knapp 17 Minuten Minuten aufbauen – Variation steht auf diesem Debüt schließlich noch weit hinter einer elementaren Bedürfnisbefriedigung nach Rock, Riffs und zelebrierter Monotonie. Wenn Frontmann Matt Baty gerade im schiebenden Nomen-Est-Omen-Opener Psychopomp immer wieder die selben Mantras in den Vintage-Nexus heult, dann kann das wenig originelle Gebräu in der falschen Stimmung deswegen auch schon verdammt gleichförmig und enervierend eindimensional werden. Mit der richtigen Grundeinstellung funktioniert Feed the Rats aber durch eine zutiefst befriedigenden Ausdauer.

Spectral Voice – Eroded Corridors of UnbeingSpectral Voice – Eroded Corridors of Unbeing

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Was für ein Package: Als die rund um ihren 2016er Einstand [amazon_link id=“B01I2RY0F8″ target=“_blank“ ]Starspawn[/amazon_link] durch die Szene-Decke ratternden Death-Senkrechtstarter Blood Incantation im vergangenen Herbst auf Tour gehen, haben sie mit Spectral Voice ein kaum weniger heiß gehandeltes Eisen im Schlepptau. Dass drei Viertel der Hauptband (nämlich Bassist Jeff Barrett, Gitarrist Kolontyrsky und die mutmaßlich niemals ruhende Riffmaschine Paul Riedl) dann auch gleich Teil des Supportact sind, ist wohl eine der organisatorisch praktischsten Fußnoten der Konzerte, ohne dafür opportunistisches Fahrwasser nutzen wollen.
Dass der ausgebrochene Hype um Eroded Corridors of Unbeing nämlich nicht alleine dem Buzz um Starspawn zu verdanken ist, sondern primär die individuelle Qualität der aufgefahrenen 45 Minuten von Eroded Corridors of Unbeing widerspiegeln, ist klar. Gemeinsam mit dem ebenfalls aus dem nimmermüden Denver’schen Metal-Dunstkreis rekrutierten Drummer (und seit dem Ausstieg von Casey Hogan mittlerweile auch als Sänger agierenden) Eli Wendler drosseln Spectral Voice im Vergleich zur Stammkombo das Tempo archaischer, mischen rasenden Death mit schwer walzendem Funeral Doom zu einem bedrohlichen Gebräu in der Tradition von klar erkennbaren Vorbildern wie disEMBOWELEMENT oder Inverloch. Dort growlen und brettern und schleppen sie sich über heavy Gitarrenwände, zerstörende Rhythmusgebilde und modrige Instrumentalpassagen jedoch durchaus eigenwillig zu einer so mystischen wie roh bedrängenden Atmosphäre.
Wo die Songtitel sich dafür knietief in Plattitüden legen, reißt die intensive Stimmung der Platte mit, die trotz weitschweifender Freiheiten mit enormer Kompaktheit sowie brutalen Wut drangsaliert. Und damit vielleicht sogar das ideale Ergänzungs- und Kontrastprogramm zu Blood Incantation bietet. Dass deren Schlagwerker Isaac Faulk die zurückliegende Tour als Fan und Musiker also besonders genossen haben dürfte, darüber darf spekuliert werden.

Tinariwen — ElwanTinariwen – Elwan

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In der unter der Schirmherrschaft von Dave Catching stehenden Rancho De La Luna wurden von Iggy Pop über die Foo Fighters bis hin zu Daniel Lanois schon unzählige Größen auf Tonträger gebannt. Vor allem aber bezieht das Studio in Joshua Tree seinen legendären Ruf als eine der elementaren frühen Keimzellen des Stoner Rock rund um Kyuss und Co.: die Queens of the Stone Age, earthlings?, Fu Manchu, Masters of Reality, Earth oder Mondo Generator  gingen und gehen hier ein und aus, was hier anno dazumahl auch in den unsterblichen Desert Sessions mündete.
So platt sich das Wortspiel insofern auch aufdrängen mag: Das passt es nur zu gut, dass sich die originalen Wüstensöhne von Tinariwen ausgerechnet hierher verirrt haben, um ihr (je nach Zählweise) siebentes Studioalbum (oder wenigstens weite Teile davon) außerhalb ihrer heimatlichen Komfortzone einzuspielen. Auch, weil der Tapetenwechsel dem organischen Tuareg-Blues merklich gut getan hat und der Sahara-Band aus Mali erfrischende Impulse in Form von einer wiedergefundenen Prägnanz verliehen hat.
Der monotone Autopilot der jüngeren Vergangenheit ist jedenfalls wie abgestreift, subtile Elemente aus Afrobeat- oder Funk-Versatzstücken scheinen die dreizehn neuen Songs immer wieder vage zu durchstreifen, ohne die Handschrift der Band gravierend zu verändern. Vielleicht liegt diese wiedergefundene, elektrifizierende Beweglichkeit ja auch in den ebenfalls homogen im Sound assimilierten Beiträgen von Kurt Vile, Matt Sweeney, Mark Lanegan und Alain Johannes – allesamt von der Rancho De La Luna hausgeliefert. Letztendlich egal: Motivierter und fesselnder klang das Kollektiv schon lange nicht mehr – und wird damit zukünftig wohl als eine der neuen Referenzgrößen gelten, wenn es darum geht die inspirierenden Qualitäten der Studios in Kalifornien aufzuzeigen.

Roger Waters – Is this the Life We WantRoger Waters – Is this the Life We Want?

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In den vergangenen Monaten war der (durch sein Engagement für die zumindest ambivalent zu hinterfragende BDS – Boycott, divestment and sanctions) stets politisch positionierte Roger Waters vor allem für die von ihm federführend ausgetragene Debatte in den öffentlichen medialen Fokus gerückt, ob und inwiefern Konzerte von Kollegen (wie etwa von Nick Cave und Radiohead) in Israel zulässig seien – was ihn letztendlich auch Kooperationsverträge kostete.
Wie auch immer man zu der Haltung von Pink Floyd-Genie Waters steht, wird 2017 aus musikalischer Sicht vor allem deswegen in Erinnerung bleiben, da sich der Brite mit seinem ersten, ausgiebig mit Thematiken wie der eigenen Vergänglichkeit beschäftigenden Studioalbum seit knapp 12 Jahren Jahren eindrucksvoll auf der Bühne der lebenden Legenden zurückmeldete. Immerhin gelingt Waters, woran das schmerzlich egale The Endless River und beinahe jede David Gilmour-Platte der jüngeren Vergangenheit scheiterte: Is This the Life We Want? wiegt mit Substanz und Relevanz die (eigene) Discografie auf und liefert damit ein wunderbar in sich geschlossenes Album, das dem Gewicht seiner Kultband nicht zu entkommen versucht, sondern es für die eigenen Vorzüge einzusetzen weiß.
Auch dank eines grandiosen Teams im Rücken (Nigel Godrich produzierte merklich Radiohead-affin, Profis wie Joey Waronker oder Jonathan Wilson musizieren organisch, David Campbell arrangiert meisterhaft) klingt das demütige, aber nicht sanfte Is this the Life We Want? im modern aus der Zeit gefallenen Retrosound deswegen gelegentlich mal nach dem Bowie-Chronismus, auf den Bowie selbst nach The Next Day keine Lust mehr hatte. Dann wieder bezaubert Waters mittels zahlreicher Wright’esker Keyboardflächen sowie markanter Gitarrenpassagen und typischer Melodiebögen mit latentem Animals/ Wish You Were Here-Revisited-Vibe, oder verweist erfrischend auf Amused to Death.
Letztendlich funktioniert Is this the Life We Want? trotz aller routinierter Selbstreferentialität dabei aber vor allem als für sich selbst stehen könnende Werk, für das man als Fan die lange Wartezeit beinahe gerne in Kauf genommen hat.

Hans Zimmer & Benjamin Wallfisch – Blade Runner 2049Hans Zimmer & Benjamin Wallfisch – Blade Runner 2049

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Was bei Erscheinen von Denis Villeneuves nervös erwarteter Fortsetzung des heiligen Sci-Fi-Grals Blade Runner noch eher hinter vorgehaltener Hand attestiert werden konnte, hat sich nach einigen Monaten Verdauungszeit wohl bereits als Kanon durchgesetzt: wenn 2049 schon nicht ganz einfach der bessere Film ist, bedient sich Villeneuve zumindest meisterhaft an allen Trademarks, die den Vorgänger so verehrt sein lassen, ohne in plumpes Wiederkäuen zu verfallen, und hat daraus ein herzzerreißendes, zeitgemäßes Neo-Noir-Drama geschaffen, das seinen Fanservice nur mit den feinsten Maschen einflechtet.
Und wo eine der größten Steine im Brett, die der erste Film hatte – Vangelis‘ ethnofuturistischer, ganze Musikgenres prägender Legenden-Soundtrack – unlösbar mit dem Universum Blade Runner verbunden schien, stehen nun (als Ersatz für den dann doch zu radikalen Sound von Jóhann Jóhannsson) die Klänge von Hans Zimmer und Kollaborateur Benjamin Wallfisch, wenig verwunderlich perfekt balanciert zwischen Referenz und Originalität. Zwischen die subtilen Schleichereien durch die wohlbekannten Klang-Dystopien des futuristischen Los Angeles drängen sich elegant ebenso vertraute amerikanische Klassiker, Zimmers zum Markenzeichen gewordene dröhnende Bässe und distanzierte Streicher – mit genauso viel Platz zum Atmen, genauso viel Schwermut, genauso viel perfektionierter Sterilität und hoffnungsloser Abgefucktheit, mit der Villeneuve die großen Fußstapfen, die es zu füllen galt, ausgeschwemmt hat.

Honorable Mentions | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 2120 – 11 | 10 – 01 |

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