Arctic Monkeys – Tranquility Base Hotel + Casino
Ob die versammelten 41 Minuten tatsächlich als Arctic Monkeys-Album erscheinen mussten, bleibt auch ganz am Ende fraglich. Fest steht hingegen schnell, weswegen Tranquility Base Hotel + Casino vorab keine Singles spendiert wurden: Alex Turner und Co. polarisieren die Basis ihrer Fanreihen.
Die Chancen stehen sogar gut, dass das sechste Studioalbum der Engländer der breiten Masse jener unfassbaren 5 Millionen Menschen, die sich AM ins Plattenregal stellten, zumindest irritierend vor den Kopf stoßen wird. Tranquility Base Hotel + Casino bedeutet schließlich nicht nur einen neuerlichen Paradigmenwechsel in der Discografie der immer wieder nach Veränderung strebenden Arctic Monkeys, sondern gar den bisher deutlichsten.
Was ist passiert? Alex Turner hat elf Songs geschrieben und dafür neben einem alten Aufnahmegerät vornehmlich auf seinem neuen Steinway Vertegrand-Piano komponiert. Wie demonstrativ die Gitarren auf Tranquility Base Hotel + Casino nun im Endeffekt jedoch aus dem beherrscht auftretenden Instrumentarium verschwunden sind, ist durchaus bemerkenswert – wie schemenhaft seine später hinzugezogenen Bandkollegen den frei gewordenen Raum ausschmücken ebenso.
Die Arctic Monkeys lehnen nunmehr nämlich scheinbar nebensächlich an einer retrofuturistischen Bourgeois-Bar, nähern sich den 70ern aus einer postmodern-anachronistischen Perspektive und altmodischen Flair: Turner schwelgt über die Tasten seines Geburtstagsgeschenkes und croont seine amüsant-nachdenkenden, popkulturell-obskuren Lyrics im Falsett aus dem Hall heraus; Jamie Cook texturiert mit flächigen Nuancen, anstatt prägnante Riffs vorzulegen; die Rhythmussektion aus dem zurückhaltend akzentuierenden Nick O’Malley und (mehr noch Drummer) Matt Helders spielt so unheimlich reduziert, ökonomisch und zweckdienlich, das man beinahe aufpassen muss, im unaufregenden Fluss der Platte keine elementaren Beiträge zu verpassen.
Die Band bremst auf einem gefühlten Sologang von Turner so sedativ entschleunigt das Tempo aus und beruhigt die Spannungskurven über zerfließende Strukturen, schmeichelt mit weich gezeichneten Konturen und denkt die Ansätze von AM betörend in Richtung David Bowie und Cameron Avery, Dion und den Walker Brothers, Father John Misty oder Serge Gainsbourg weiter.
Dies alles lässt die Arctic Monkeys wie exakt jene Salonlöwen klingen, nach denen die LA-Cique längst aussieht. Tranquility Base Hotel + Casino ist deswegen auch der in seinem eigenen Zeitloch existierende Soundtrack für Pokerabende in verrauchten Art déco-Wohnzimmern voller stilvoller Lavalampen und minimalistischer architektonischer Kniffe geworden, in denen Kartenhaie zu versöhnlichen kuschelnden Freunden werden können – und umgekehrt. Es ist der erstaunlich komplette Versuch, Pop als jazziges Stimmungsbad mit einer entspannten Fahrstuhlmusik-Ästhetik umzudeuten und die Überreste des Indierocks als Konzeptalbum entlang einer psychedelischen Space-Lounge-Musik mit hypnotischen Bond-Figuren samt fettigen Haaren und Pornobrillen im Zwielicht zu inszenieren. Ganz richtig: Wer zu Roxy Music Party macht, wird zu Tranquility Base Hotel + Casino am Tag danach runterkommen.
Und obgleich diese durchaus mutige Konsequenz im Bestreben kreative Neigungen über ein kommerziell leichter zu vermarktendes Sicherheitsgedanken zu stellen – Stichwort: AM 2.0 – wohl unmittelbar bei einem Gutteil ihrer Anhänger zumindest für Achtung sorgen dürfte, hinterlässt der drastische Auslagenwechsel auf die ersten Durchgänge dann doch auf beiläufige Weise ernüchternd – hängen bleibt schließlich vor allem in der Kennenlernphase abseits einer allgemeinen Faszination für die homogene Kohärenz der Entwicklung im Speziellen nur wenige individuell aus der Masse herausragende Szenen.
Im eröffnenden Star Treatment werden etwa die Weichen mit Dolceola und Orchestron gelegt, verführerisch und unwirklich. Die Band entfaltet eine hallschwanger plätschernde R&B-Sehnsucht, deren ausbremsender Twist überrascht, aber das dösenden Treiben nicht bricht, welches primär von der Tiefe und Dichte der aufgebauten Atmosphäre lebt. Bis zum stacksenden, ähnlich vage bleibenden Hip Hop-affinen Fiebertraum One Point Perspective relaxt der Groove, drängt sich kein Element an Turner vorbei. Erst das kompakte American Sports klimpert griffiger, flirtet gar erkennbar mit Hooks und Melodien: Flehend, zurückgenommen und beherrscht – ganz hinten kann man sogar die Trance einer gniedelnden Gitarre ahnen.
Im Glam-orientierten Four Out of Five lüften Akustikgitarren den Vibe für den vielleicht zugänglichsten Refrain der Platte, darum herum tasten sich die Arctic Monkeys vorsichtig durch sexy Nebelschwaden. Das augenzwinkernd tieftönend aufbegehrende She Looks Like Fun hat den Hüftschwung der Queens in Zeitlupe adaptiert, der Chorus türmt sich dafür melodramatisch einschüchternd. Und das abschließende The Ultracheese gibt die zutiefst versöhnliche Klavierballade, schunkelt romantisch schwadronierend und kitschig schön, nur um hinten raus wie eine liebenswerte Screwballkomödie melancholisch lächelnd dem bittersüßen Sonnenuntergang im alten Hollywood entgegenzutänzeln.
Und während man Tranquility Base Hotel + Casino trotz dieser relativ offensichtlicher ausgelegten Widerhaken mangels jedweder erkennbarer Energie, Kraft und Kantigkeit bereits als enttäuschend lahmenden, zu gefällig dümpelnden Kuschelkurs abstempeln will, greift die verruchte Anziehungskraft der Platte hinterrücks mit jedem Durchgang mehr und schärft den Blick auf die Qualitäten des Album gerade über den berieselnden Hintergrund. Letztendlich wird Tranquility Base Hotel + Casino als Grower explizit (und vielleicht sogar ausschließlich) als Ganzes durchaus hervorragend funktionieren.
Dann schieben sich dezent gewobene Anmutigkeiten wie der leger den Easy Listening-Modus für Kammermusik im Geisterschloss findenden Titelsong in den verschwommenen Fokus, oder folgt Science Fiction einem sinistren Noir-Rhythmus, um als Paradebeispiel vorzuzeigen, wie subtil Dramatik und Opulenz auf dieser Platte in Szene gesetzt sind; wie nahe Agentengeschichte und Western zusammenliegen können, ohne eines von beiden sein zu müssen.
Zwar gibt es selbst dann noch Phasen, in denen Tranquility Base Hotel + Casino schlichtweg zu unverbindlicher bleibt, als es dem Konzept gut tut: Golden Trunks erinnert sich nonchalant an den Schweinerock von Suck it and See, kommt aber in der Prägung nicht über den lamentierenden Wohlklang hinaus und zündet selbst als Mosaikstück nicht unbedingt; auch Batphone lamentiert ziellos vor sich hin und findet nur durch einen heulenden Synthie eine lose Catchyness.
Turner und seine Erfüllungsgehilfen verkneifen sich eben im Songwriting alles zwingende und packende ein wenig zu kompromisslos; sie nehmen es in Kauf, abseits des gepflegten Soundbildes und der kreierten Stimmung abseits des schlüssigen Kontextes im Detail kompositorisch zu beliebig zu bleiben. Nicht nur im Mittelteil, gerade bei The World’s First Ever Monster Truck Front Flip, scheint es deswegen auch so, als würde sich der Reiz der Platte langsam aber doch unweigerlich verflüchtigen. Tatsächlich wäre ein dynamischeres Anziehen der Spannungen spätestens hier durchaus zweckdienlich gewesen, da Tranquility Base Hotel + Casino immer wieder die Neigung zeigt, es sich unaufdringlich bequem machen zu wollen, sich zur selbstverliebten Nabelschau zu stilisieren – was irgendwie doch auch wieder durchaus stimmig zum ziellosen stream of consciousness-Charakter des Albums passt.
Aber justament, wenn sich eine komfortable Langeweile auszubreiten droht, öffnet die Band in The World’s First Ever Monster Truck Front Flip seine Borniertheit ohnedies exemplarisch mit einem in die Harmonien der Beach Boys verliebten Part, den die Shins derart unangestrengt harmlos wohl begrüßen würden.
Es sind dann auch smooth gewobene Geistesblitze wie dieser, der Tranquility Base Hotel + Casino weitestgehend aus einer Egalität seines grundsätzlich mäandernden Wesens hievt, die Perspektiven und Aufmerksamkeit mit unoffensichtlichen Mitteln erfolgreich gerade rückt. Momente, in denen dieses Album mehr auf das Design seiner grundlegenden Idee als auf tatsächlichen Inhalt setzt, nimmt man deswegen auch gerne schulterzuckend mit. Immerhin ist längst klar, dass die sechste Studioplatte der Arctic Monkeys mehr als die Summe ihrer Teile ist.
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