Infant Island – Sepulcher
Alleine der Sound von Sepulcher wird Screamo-Puristen in den Wahnsinn treiben – den Rest erledigen vier bzw. fünf Songs, die kein Geheimnis daraus machen, dass Infant Island mittlerweile ohnedies ambitioniert über Genre-Grenzen hinausgewachsen sind.
Was sich so anhand des selbstbetitelten 2018er Debüts der Band aus Fredricksburg nicht unbedingt vorausahnen hatte lassen. Immerhin positionierte sich Infant Islands damals noch ziemlich orthodox als Teil eines traditionsbewussten Screamo-Revivals. Doch während sich die Ausrichtung alter Weggefährten in der Szene mittlerweile ohnedies auseinanderzudividieren scheint, indem etwa Frail Hands oder die grandiosen Lord Snow verhältnismäßig konservativ die Basis bedienen, lässt sich etwa alleine schon die chronologische Verortung von Sepulcher innerhalb der eigenen Diskografie von Infant Islands weniger klassisch betrachten.
Immerhin steht das in wenigen Wochen veröffentlicht werdende Zweitwerk Beneath zwar in den Startlöchern – aufgenommen wurde dieses allerdings bereits Ende 2018, jedoch bis jetzt für einen Feinschliff und die Addition zusätzlicher Interludes und Passagen zurückgehalten. Sepulcher hingehen entstand erst später, im Dezember 2019 – und ist mit 25 Minuten als nominelle EP nur zwei Minuten kürzer als das überholte Album sowie dazu eben die an sich aktuellere kreative Standortbestimmung.
Es ist eine, die Infant Islands in die nächste Liga katapultiert zeigt, indem der Screamo nur noch als Ausgangspunkt verstanden wird um stilistisch abenteuerlustig zu expandieren, diese Entwicklung aber weniger in einem Umbruchwerk kulminiert, sondern bereits eine gewisse Formvollendung im Evolutionsprozess zeigt: Sepulcher assimiliert Assoziationen, bringt die referentiellen Einflüsse auf gemeinsame Nenner und bietet eine in sich geschlossene Tour de Force durch ein kontrastreiches Wechselbad der Extreme.
Burrow hyperventiliert da gleich zu Beginn wie von der Tarantel gestochen, installiert auch sofort den ambivalenten Sound der Platte über einen umpackbar massiven Bass sowie übersteuert explodierende Drums um schellendes Beckenzucken und eine hyperaktive Snare: Das will pure Energie sein und erinnert in seiner massiv gemixten Produktion an Glassjaws Coloring Book – obgleich das Songwriting von Infant Islands an sich keineswegs derart rhythmusdominiert-tanzbar ausgelegt ist und die Inszenierung insofern eher ästhetisches Mittel ist, weniger ein verlängerter Arm der Nummern an sich. Trotzdem passt diese ballernde, überzüchtete Entscheidung, obgleich das chaotische Geschrei und Strukturen weniger als die hinweggeprügelten Gitarren eine Ahnung hinter dem Radau bleiben.
Für die Screamo-Puristen, die danach noch an Bord sind, wird die Sache ab diesem Zeitpunkt der EP allerdings nicht mehr einfacher.
Unspoken liebäugelt düster und atmosphärisch, bedrohlich und beklemmend mit dem Drone und Industrial, rumort und grollt subversiv – nur um dann umso unbändiger zu eskalieren. Wenn die Nummer sich nach diesem ersten Sperrfeuer ausbremst und eine Symbiose zum manischen beschwörenden Crescendo eingeht, ist das dann mit jeder anschwellenden Sekunde mehr die Gratwanderung zwischen Code Orange und Portrayal of Guilt, die schächtet, anstatt einen Gnadenschuss in Erwägung zu ziehen.
Vollkommen konträr, aber durchaus natürlich aufnehmend ist Phantom Whines dagegen danach ein im weißen Rauschen untergehendes Ambient-Stück, dass eine unwirkliche Schönheit Richtung William Basinski und seiner Disintegration Loops erahnen lässt, bevor das knapp zehnminütige Awoken den bisherigen Zenit der Geschichte von Infant Islands darstellt, irgendwo in der Melange aus Deafheaven, The Body und Holy Fawn, irgendwie.
Ein stimmungsvolles Geplänkel leitet zunächst jedoch einen Screamo ein, der seine Texturen aus dem übersteuerten Postrock und Noise verführt, und Oasen der cleanen Versöhnlichkeit zur alleinigen Nachdenklichkeit nutzt, denn als Atem holenden Spannungsbogen vor dem nächsten Klimax. Awoken badet dennoch betörend in einem elegischen Post Hardcore-Meer am Fuße eines Blackgaze-affinen Berges, dessen immer weiter hinauswachsender Gipfel eine brutal schonungslose Katharsis gebiert, die stellar in den Himmel strahlt.
Danach herrscht eine zirpende Einkehr und Ruhe, in der (das nicht auf der Trackliste auftauchende, aber etwa via Bandcamp digital spendierte) Titelstück die träumende, klavierverwaschene Grandezza von Jon Hopkins der verspulten Transzendenz von Sigur Rós nahe bringt. Womit Infant Island sich auf eklektische Weise nicht nur ein gutes Stück weit neu erfunden, sondern auch selbst übertroffen haben.
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