Japanese Breakfast – Jubilee

von am 9. Juni 2021 in Album

Japanese Breakfast –  Jubilee

Michelle Chongmi Zauner alias Japanese Breakfast geht endlich der Knopf auf: Jubilee beginnt mit dem besten Song, den Beirut so nie geschrieben haben, und endet mit einer über sich selbst hinauswachsenden Sternstunde.

Sicherlich sind Paprika (eine zum Niederknien hell und klar jubilierende Melodie holt einen Ohrwurm sondergleichen aus dem wabernden Ambient samt Film-Referenz heraus, angetaucht durch ein glückselig marschierendes Schlagzeugspiel, losgelassene Bläser und smart eingesetzte Streicher) sowie Posing for Cars (das zu Beginn seiner fast sieben Minuten Spielzeit ein minimalistisches Singer-Songwriter/Folk-Kleinod darstellt, dann aber über den Ballsaal in den Sternenhimmel hinaufschwebt und zur zeitlos im Solo aufgehenden Shoegaze/Dreampop-Schönheit wird, die live wohl den Exzess provozieren wird, hier aber in kultivierter Grandezza so unendlich hell strahlt) alleine aufgrund ihrer Positionierung absolute Scene-Stealer (und zumindest im Fall von Paprika ja wohl auch wirklich das Highlights des vierten Japanese Breakfast-Werkes schlechthin).
Selbst diese Begeisterung über eine gewisse falsche Fährte, die der ein bisschen bombastische, freudige Balkan-Pop des Openers jedoch als Instant-Hit zum Einstieg streut, und die erhebende Geste, die der Rahmen zum Ende ermöglicht, überdeckt dann aber nicht, dass der 32 jährigen Zauner hier erstmals ein geschlossen starkes Werk gelungen ist, auf dem sich die ausfallfreien Song-Juwelen die Klinke in die Hand geben.

Be Sweet ist etwa ein flotter Disco-Dancefloor mit 80er Drive, funky Gitarrenlicks und keckem Synthie – Ulver werden das eventuell im Tourbus hören und im Sonnenschein an Madonna oder Shura denken. Slide Tackle steht dem in nichts nach, forciert den Beat jedoch noch mehr und baut gar ein smoothes Saxofon in seine treibende Stimmung ein, wohingegen Kokomo, IN dazwischen zum entspannt schunkelnden Indie Pop-Song tendiert, als hätte Weyes Blood eine schummrige Verbindung zu Calexico gefunden. Oder so ähnlich. Sicher aber tänzeln Violinen mit geschlossenen Augen über sommerliche Wiesen.
Das brillante Posing in Bondage drosselt das Tempo ebenfalls, zum sphärisch pulsierenden Elektro-Downbeat, dessen Atmosphäre später in asiatischen Texturen schimmert, wie Phoenix sie gerne pflegen. Die Nummer wird im Verlauf wuchtiger, behält sich gleichzeitig aber auf ruhige Weise eine introvertierte Sehnsucht. Auch die Melancholie der Vorgängeralben ist noch nicht verschwunden, auch wenn die Klangpalette gewachsen und zumindest das Auftreten von Zauner so dezidiert unbeschwerter geworden ist: „When the world divides into two people/ Those who have felt pain/ And those who have yet to.“ Das sitzt in der Schere aus Form und Inhalt – und soviel Spaß die Platte auch in ihrem immanenten Unterhaltungswert macht, so sehr kann sie in die Magengrube einfahren.

Generell ist die Musikerin bei aller Wandelbarkeit und augenscheinlichen Leichtgängigkeit der Songs das charismatische, auch dunkel denkende Gravitationszentrum, sie eint ihre Kompositionen alleine mit ihrer bisweilen quietschenden Stimme auf eine homogene Basis und eine Vielschichtigkeit.
Der Abenteuerlust und auch Tiefgründigkeit sind so im Kaleidoskop Jubilee nur wenige Grenzen gesetzt. Sit schiebt schwer mit gedrosselt pumpendem Beat, reibt sich an scharfkantigen Keyboard-Kliffen, kontrastiert seine wummernde Future Islands-Ästhetik in Zeitlupe mit besonders körperlos perlenden Gitarren. Tröstend Durchatmen im fluffig wattierten Noise quasi. Savage Good Boy beginnt dagegen wie im knallbunten Helium-Rausch, ist aber tatsächlich eher eine Idee davon, wie Nina Persson mittlerweile ohne die Cardigans klingen könnte: zügig und kammermusikalisch klimpernd; ein bisschen wie die Shins, wenn die sich mit gniedelndem Hair-Gitarrensolo verabschieden würden. Das sehr okaye In Hell operiert mit fernöstlichem Schimmer und J-Pop-Pastiche, nimmt auf liebenswürdige Weise Fahrt zu einem kleinen 90er-Singalong („With my luck you’ll be dead within the year/ I’ve come to expect it/ There’s nothing left to fear, at least there’s that/…/ Hell is finding someone to love/ And I can’t see you again„) auf, bevor das herausragende Tactics mit verträumten Streichern sentimental und weich schwofend ein wehmütiges Erinnerungsmeer erzeugt, mehr noch eine romantische Cinemascope-Kuschelei von entwaffnender Zärtlichkeit.

Man kann also den Evolutionssprung für Japanese Breakfast zu einem reichhaltigeren Instrumentarium, dem latenten Übermut und einer generell optimistischeren Lockerheit im ausfallfreien Potpourri bestaunen, sich in Texte verlieren, an deren Ende Zauner singt: „I’m just a woman with a loneliness/ I’m just a woman with needs“ – und mehr denn je abholt, mitnimmt, den Abgründen des Daseins trotz existenzialistischer Krisen mit einer lebensfrohen Attitüde begegnet, über eine geradezu naive Zwanglosigkeit kommunizierend. Man kann sich in all die Melodien und Hooks verlieben, die Jubilee mal bittersüß und nostalgisch, dann hoffnungsvoll und beschwingt, manchmal in sich gehend und immer aufgeweckt, auszeichnen. Man kann aber auch schneller zum Punkt kommen: Diese zehn niemals gänzlich erschöpfenden, dafür aber süchtig machenden Schnappschüsse, sind gebündelt mindestens das Sommeralbum des Jahres.

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