Die Alben des Jahres 2017: 40 bis 31

von am 8. Januar 2018 in Jahrescharts 2017

Die Alben des Jahres 2017: 40 bis 31

Honorable Mentions | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 2120 – 11 | 10 – 01 |

Paul Plut - Lieder vom Tanzen und Sterben40. Paul Plut – Lieder vom Tanzen und Sterben

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Während sich in den vergangenen Jahren rund um den Erfolg von Wanda eine ökonomisch klug kalkulierte Renaissance des (mal ganz weit gefasst kategorisiert) Austropops kultiviert hat, machen sich diese zehn in Mundart vorgetragenen Lieder vom Tanzen und Sterben zu keinem Zeitpunkt dem Eindruck verdächtig, als sei hier ebenfalls jemand in irgendeiner Form auf einen grassierenden Trend aufgesprungen.
Was weniger daran liegt, dass Paul Plut mit VIECH schon in deutschsprachigen Gefilden unweit einer eigenwilligen Aufarbeitung der Volksmusik unterwegs war, als dies noch nicht derart salonfähig war wie es heute ganz allgemein der Fall ist, als vielmehr daran, dass sich sein Solodebüt ohnedies anfühlt, als wäre es aus einer wettergegärbten Zeitkapsel gezogen worden, die lange, lange Jahre in kalter Erde vergraben war. Die Bilder, die Plut dabei mit altersschwer schleppender Stimme im kargen Szenario zeichnet, sind eindringlich – gleichzeitig einsam sinnierend und unaufdringlich tröstend -, doch würde diese Platte auch ohne ein Verständnis der nostalgisch-entrückt fesselnden Texte unbedingt funktionieren. Der vielleicht größte Trumpf dieser Lieder vom Tanzen und Sterben ist schließlich die von ihnen erzeugte Stimmung, die sich mit dem imaginativen Geschmack von extrem torfigen Whiskey über die Gegenwart legt – und in dieser Ausrichtung eben wie kein anderes Liedgut da draußen klingt.
Mehr noch, als es bereits VIECH (2013) in seinen besten Momente war, ist Lieder vom Tanzen und Sterben damit ein Album, das zwar in der eigenen Erinnerung an die Vergangenheit zu leben scheint, seiner Zeit so aber bisweilen voraus sein könnte.

Pharmakon - Contact39. Pharmakon – Contact

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Margaret Chardiets drittes Album als Pharmakon beginnt als die gewohnte Selbstgeißelung: Als vertonte Panikattacke erwischt das klaustrophobische Vacuum unvorbereitete (…) auf dem falschen Fuß, ist unbequem und gleichzeitig vertraut. Während dieser anderthalb Minuten zieht sich die Brust zusammen, spürt man den Kern Pharmakons Musik mit minimalem Aufwand – und könnte nach den asozialen Erfahrungen von Abandon und Bestial Burden eigentlich direkt wieder mit Arcade Fire in die Consciousness-Disco gehen.
Contact spielt sich jedoch nicht nur an einem Ort der Angst und des Schreckens ab. Chardiets scharfe, gequälte Schreie haben eine tröstliche Qualität, die erst durch die beiden Vorgänger möglich geworden scheint. Man lasse jedes Aufheulen mit geschlossenen Augen über sich ergehen, mit etwas Konzentration werden vielleicht sogar die eigenen Dämonen vertrieben. So gerät Contact zu einem Portal der Karthasis, und das – ohne von „Eingängigkeit“ sprechen zu wollen – für beide am Geschehen beteiligten Parteien. Als Album ist es roh, als Gefühl (und Pharmakons Werke wirken durch ihre relative Kürze sehr unmittelbar) kann es auf jeden Zuhörer abfärben: Stelle dich dir selbst und kanalisiere was du findest durch diese Musik.

Pyrrhon - What Passes For Survival38. Pyrrhon – What Passes for Survival

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Pyrrhon klassifizieren ihre Genre-Zugehörigkeit selbst als „commercially unviable sound“ und fügen als Interesse „clearing rooms“ hinzu. Da soll noch einer sagen, die New Yorker rund um den mittlerweile zum „Sexiest Dude in Metal“ gewählten Front-Poeten Doug Moore hätten keinen Sinn für Humor…
Vor allem aber steckt in den Angaben auch ein gewichtiges Fünkchen Wahrheit. Wo die stilistische Ausrichtung des Quartetts immer noch pure Hate it or Love it-Radikalität hervorruft und gerade unter Puristen polarisierende Diskussionen lostritt, wann technischer Death zum puren Mindfuck im experimentellen Metal wird, beantworten Pyrrhon diese Streitpunkte mittels (über)fordernder 45 Minuten abermals mit einem neuen Label im Rücken. Nach dem Abschied von Relapse zu Willowtip Records wird sich auch What Passes for Survival in seiner Sperrigkeit nicht als Goldesel erweisen – sehr wohl aber als neuerlicher künstlerischer Triumph, der seine Hörerschichten mit viel Profil selektiert.
In einem tollwütigen Reißwolf von einer Platte eskalieren Pyrrhon über etablierte Trademarks entlang mehr Wendungen, Tempiwechsel und virtuoser Rückwärtssalti, als sich auf den ersten Blick verdauen lassen (wollen) – dabei hat das unbekömmliche Quartett hinter grandiosen Texten paradoxerweise sein bisher vielleicht sogar flächenwirksamstes Werk aufgenommen. Widersprüchlich? Natürlich! Aber das gehört auch irgendwo zum Konzept einer sich selbst zerfleischenden Platte.

Paul Weller – A Kind Revolution

37. Paul Weller – A Kind Revolution

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2017 lieferte durchaus neue Erkenntniswerte rund um Modfather Weller. Etwa, als der 59 Jährige über den atmosphärischen Boxerstandard Jawbone als Drehbuch-Impulsgeber im Filmbusiness erste Sporen sammelte und sich mittels des dazugehörigen Scores als ambienter Klangmaler im Sinne eines angenehmer verdaubaren Scott Walker empfahl. Dagegen verkam selbst die Stippvisite in Noel Gallaghers hauseigener Tanzflächenrevue zur Selbstverständlichkeit – so mitreißend sich die ewigen Kumpels dabei auch einmal mehr kongenial unter die Arme griffen.
Abseits davon unterstrichen die vergangenen 12 Monate rund um eine weitere ausgiebige Tour sowie durch A Kind Revolution, was man nach dem die Qualitätskurve bereits wieder ordentlich nach oben schraubenden 2015-Werk [amazon_link id=“B00T7MKPXY“ target=“_blank“ ]Saturns Pattern[/amazon_link] ohnedies längst wusste: Weller singt immer noch wie ein junger Gott, untermauert seine stimmliche Unzerstörbarkeit aber nunmehr mit einigen der besten Songs, die er seit seinen Solo-Heydays rund um [amazon_link id=“B000001FIJ“ target=“_blank“ ]Stanley Road[/amazon_link] oder [amazon_link id=“B000001FI1″ target=“_blank“ ]Wild Wood[/amazon_link] ablieferte. Das strotzt mal vor Groove und dann wieder vor unendlich viel Soul, besticht aber vor allem durch seine im besten Wortsinne souveräne Vermessung zwischen den Polen Leidenschaft, Hingabe und Routine. Keine spektakuläre Platte, aber eine zeitlos gute.

Full of Hell - Trumpeting Ecstasy36. Full of Hell – Trumpeting Ecstasy

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Schlägt man im Duden den Begriff Synergie nach, findet sich dort ein Portrait der vier Grind-Derwische von Full of Hell – neuere Versionen führen übrigens bereits Trumpeting Ecstasy als Paradebeispiel neben dieser Definition.
Nur logisch. Immerhin waren Full of Hell zwar immer schon eine Band, die es makellos verstand mit Kollegen und Freunden wie Merzbow oder The Body zusammenzuarbeiten, dabei hauseigene Stärken selbstlos in den Dienst der allgemeinen Sache zu stellen und gleichzeitig involvierte Qualitäten externer Quellen zu nutzen – jedoch funktioniert dieser Ansatz auf dem Schmelztiegel Trumpeting Ecstasy in einer gänzlich neuen Qualität.
Auf ihrem dritten nominell allein unter eigener Flagge laufenden Studioalbum assimilieren Full of Hell Beiträge von Aaron Turner, Andrew Nolan, Nicole Dollanganger oder Nate Newton erst zu einem manisch austickenden Grindsturm der Extraklasse, nur um im finalen Drittel der Platte gänzlich über sich hinauszuwachsen. Nicht zuletzt dank des so kräftig-rohen wie dreckig-versauten Sound von Kurt Ballou – der sich spätestens über Trumpeting Ecstasy zum Produzenten des Jahres aufschwingt: Vom Darkest Hour-„Comeback“ Godless Prophets & The Migrant Flora über die Chelsea Wolfe-Standpunktverortung Hiss Spun bis hin zum Mutoid Man-Vandalenakt War Moans war der 43 Jährige in den vergangenen 12 Monaten schließlich in der Entstehung nahezu jeder relevanten Platte in Hardcore-nahen Gefilden involviert. Die Spannweite seiner Fähigkeiten fassen dabei andere Alben vielleicht kohärenter vermessend zusammen – an einer präziser fokussierenden Konzentratorlinse als Trumpeting Ecstasy hat Ballou allerdings selten mitgearbeitet.

LCD Soundsystem - American Dream35. LCD Soundsystem – American Dream

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Trotz großer Gesten wie der Abrechnung mit typischen Rock-Texten oder dem zu Grabe tragen seiner Band – James Murphy ist kein Rock-Prophet. Lou Reed war das. Leonard Cohen war das. David Bowie war das. Und ohne den Tod des Thin White Duke hätte es wohl American Dream auch in dieser Form nicht gegeben – ob als direktes Tribut oder vom Spätwerk beseelt. Die Wiedergeburt von LCD Soundsystem ist gekennzeichnet durch Abschlüsse: Mit Freundschaften, der Liebe, aber auch Mythen und Helden.
Dies ist Murphys bislang offensichtlichstes Post-Punk-Album, mit Beats die an schwül-heißen Tagen immer noch Leben retten. Und doch kriecht zwischen die schimmernden Basslinien eine neue Spärlichkeit und Leere, die beispielsweise das stimmungsvolle Herzstück der Platte, How Do You Sleep?, erst möglich machen. Und obwohl dieser gänsehauterregende Höhepunkt eher uncharakteristisch für American Dream bleibt, und Murphy sich immer wieder stolzierend als rechtmäßiger Erbe der Rock’n’Roll-Disco inszeniert, bleibt der Beigeschmack eines Party-Albums für das Ende der Welt. Das Album, das 2016 verdient hätte.

BIG|BRAVE - Ardor34. B I G | B R A V E – Ardor

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Selten wird eine Platte derart durch ihre Gäste bereichert, wie das Zweitwerk von B I G | B R A V E durch die (neuerliche) Einladung von Jessica Moss und Thierry Amar profitiert: Die beiden Musiker rücken Ardor schließlich stimmungstechnisch nicht nur assoziativ in die Nähe ihrer Stammbandkollektive von A Silver Mt. Zion bzw. Godspeed You! Black Emporer, sondern schärfen durch die zusätzlichen Texturen ihrer Instrumente überhaupt den nötigen Kontrast im Auftreten dreier bestimmt zirkulierender Songmonolithen. Damit fördern sie das Potential der nur zu leicht als monoton und lethargisch misszuinterpretierenden Kompositionen über eine apokalyptisch tiefgehende Atmosphäre erst wirklich zu Tage.
Dass sich B I G | BR A V E  im Spannunsfeld von Boris, Sunn O))) und Swans dadurch (oder eher: darüber hinaus) endgültig in die erste Liga (auf Augenhöhe mit weiblichen Heavyness-Speerspitzen wie King Woman, Eight Bells, Worm Ouroboros, Dreadnought oder SubRosa) gespielt haben, wird im majestätischen Lull am deutlichsten, wenn verzweifelte Schönheit zwischen erschütternder Drone-Wucht, postrockiger Schönheit und folkiger Anmut flehen lässt und die kindlich naive Stimme von Robin Wattie dabei das polarisierende Zünglein an der Waage bleibt. [amazon_link id=“B000FGFY6Y“ target=“_blank“ ]Flood[/amazon_link] als balladesker Blues. Diese Heavyness ist eigen, unwirklich, betörend – und massiv. Wer von B I G | B R A V E schon einmal live erdrückt wurde weiß zudem: Notfalls erzeugen sie diese gewaltige Imposanz übrigens auch komplett ohne Feature-Verstärkung von außerhalb.

Ryan Adams - Prisoner33. Ryan Adams – Prisoner

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2017 war definitiv ein dominantes Metaljahr, doch derart ausgekotzt wie Ryan Adams haben sich in den vergangenen 12 Monaten nur wenige.
Für seine alten Kumpels von den Strokes hatte der 43 Jährige etwa ausnahmslos böse Worte übrig, auch Hipster-Vorstand Father „Elton“ John Misty attackierte Tabloid-Adams praktisch aus dem Nichts kommend. Vor allem aber waren ihm selbst zwölf Songs nicht mehr genug, um das nagende Beziehungsende mit Mandy Moore zu verarbeiten: 19 ursprünglich nur als Bonustracks gedachte Nummern folgten Prisoner als B-Seiten-Nachhall, der seinem Titel den Finger zeigt.
Material, das definitiv zu schade gewesen wäre, um es ausschließlich finanzstarken Fans vorzuenthalten, stemmen das Niveau der regulären Studioplatte nahezu mühelos und hätte im 22. Jahr nach dem [amazon_link id=“B001SVY67S“ target=“_blank“ ]Whiskeytown-Debüt[/amazon_link] auch ein grandioses, weil rundum konsistentes Doppelalbum abgegeben. Die Konstante aus Masse und Klasse wirft dann entlang einer leidenschaftlichen Berg und Talfahrt durch Adams Gefühlsleben einige Karrierehighlights ab, die den offenbar nach wie vor akuten Herzschmerz von Adams auf schmerzvolle Weise greifbar machen. Wenn er Zeilen wie „I close my eyes, I see you with some guy/ Laughing like you never even knew I was alive“ fleht, und man simultan dazu von der neuerlichen Verlobung seiner Ex-Gattin liest, lässt das freilich bereits jetzt wilde Spekulationen darüber zu, wie sich das auf kommendem Material niederschlagen wird. Freunde wie (ehemalige) Feinde von Adams sollten sich jedoch vorsichtshalber schon warm anziehen.

Mastodon - Emperor of Sand32. Mastodon – Emperor of Sand

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Während Mastodon mit der frontal powerpoppigen ersten Single Show Yourself penetrant hausieren gehen (und damit eher der eigenen Attitüde als dem Albumfluss einen Gefallen getan haben), hätte es der beste Song von Emperor of Sand eigentlich gar nicht auf das siebente -Studioalbum des durchgeknallten Quartetts schaffen sollen. Das epische Jaguar God (mit Session-Meister Mike Keneally an der Gastgitarre ) war eigentlich für das als Solo-Minialbum gedachte, letztendlich aber als Ausschussware-Sammelbecken-EP brilliert habende Cold Dark Place gedacht gewesen.
Durchaus symptomatisch für Emperor of Sand. Ein Konzeptwerk, das sich hinter seiner kompakt sitzenden Brendan O’Brien-Produktion nicht zwischen der überdrehten Catchyness von The Hunter und der gefinkelten Akribie eines Crack the Skye entscheiden will – und deswegen kurzerhand den Mittelweg über ein knappes Dutzend an hart zupackenden, um die Ecke linsender Prog-Ohrwürmern geht, die immer wieder den Zug zu schmissigen Alternative-Refrains suchen. Mastodon zollen so dem puren Spaß am unkonventionellen Weirdo-Metal Tribut, zelebrieren ohne Wurzeln zu schlagen die Freude an zwingenden Melodien und machen schlichtweg verdammt viel richtig, indem sie es primär sich selbst Recht machen: Ohne klar definierte Fronten anzugeben derart einnehmend zu polarisieren, muss man schließlich auch erst einmal können. Mastodon beiben in ihrem Metier einmal mehr unerreicht, besser als hier waren sie in diesem Jahrzehnt allerdings noch nicht.

Kendrick Lamar - Damn31. Kendrick Lamar – DAMN.

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Das selbe Album noch einmal aufzulegen, sie diesmal aber mit einer um 180 Grad gedrehten Trackliste zu releasen – weil das ja ohnedies schon immer so geplant gewesen war. Jedem anderen hätte man eine (entweder das vermeintliche Original oder sich selbst ad absurdum führende) Veröffentlichung wie die knapp acht Monate nach der regulären Version erschienene [amazon_link id=“B077F5H68Q“ target=“_blank“ ]Collectors Edition[/amazon_link] von DAMN. als billigen Publicitystunt ohne Mehrwert angekreidet. Gerade in der (bisher ausnahmslos veröffentlichten) MP3-Version fühlt sich die Reverse-Variation sowieso als pure Abzocke an.
Aber bei Kendrick Lamar? Der rechtfertigt das Rückwärtsabspulen auf künstlerischer Ebene bis zu einem gewissen Grad mit einem narrativ schlüssigeren Bogen, vielleicht sogar der tatsächlich stimmigeren Trackabfolge und definitiv einem weniger hässlichen Artwork.
Am grundsätzlichen Wesen des bisher zugänglichsten und wohl auch poppigsten Werk des 29 Jährigen ändert sich durch den lange angekündigten Twist freilich nichts: Klasse bleibt Klasse und DAMN. ist das Konsensalbum, das auf der Straße gleich gut ankommt wie bei der Grammy-Jury; das dem Mainstream ebenso viele Hits bescherte wie es Kendricks Credibility im Underground zu festigen wusste; das Kung Fu Kenny bewusst auf Augenhöhe mit zeitgenössischen Kollegen setzt und gerade dadurch aufzeigt, dass der Mann aus Compton weiterhin vor keiner Konkurrenz an der Spitze steht: DAMN. mag hinter den beiden Meisterwerken Good Kid, M.A.A.D City (2012) und To Pimp a Butterfly (2015) wahlweise leicht oder deutlich abfallen, zündet aber kurzweiliger. Bessere Platten muss man im Rap-Game 2017 deswegen erst einmal finden.

Honorable Mentions | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 2120 – 11 | 10 – 01 |

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