Die Alben des Jahres 2022: 20 – 11

von am 30. Dezember 2022 in Jahrescharts 2022

Die Alben des Jahres 2022: 20 – 11

| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  | Playlisten |

20. Sonja – Loud Arriver

Review | Spotify

Nach der transphoben Implosion von Absu gab es nur eine Art und Weise, wie die Rückkehr von Melissa Moore ausfallen konnte: Laut und heavy.
Sie rekrutierte also Drummer Grzesiek Czapla und Bassist Ben Brand für ihr bereits bestehendes Projekt Sonja, spielte Coversets mit Songs von Judas Priest, Mercyful Fate und Venom bis zu Manowar oder Witchfinder General, schrieb entsprechendes eigenes Material und bat ihre neue Truppe um etwas Geduld: „Give me a year to become a vocalist…I promise I’ll be ready.
Das Warten hat sich ausgezahlt: Moore klingt wie das stimmlich aufgehellte Glam-Pendant zu James Dean Bradfield, das die jungen Manic Street Preacher zu einer Stafette – einem wahrhaftigen Loud Arriver! – voller traditionsbewusster, frischer, zeitloser Heavy Hardrocker rund um eine hedonistische Aufbruchstimmung voll verführerischer Spannungen geführt. Unwiderstehliche Hits wie Nylon Nights und Fuck, Then Die mit ihrem hochmelodischem Hymnen-Potential vermitteln das Gefühl, die breitbeinigen Headbanger in diesem sepia-schillerndem Riff-Festival so viel eleganter und geiler serviert zu bekommen, als etwa bei der Rückkehr von Sumerlands:I just wanna fuck all day and all night/ Nuclear warhead ready to strike/ Gonna make sure you’re feelin’ alright/ We’ll be dead tomorrow„.

19. Beach House – Once Twice Melody

Review | Spotify

Once Twice Melody setzt alles daran, das Opus Magnum von Beach House zu sein – was aber nur gelungen ist, wenn man die Schnittmenge aus Quantität und Qualität als elementaren Gradmesser für die Bedeutung im Gesamtwerk heranzieht.
Tatsächlich liegt die Stärke des achten Beach House-Albums nicht in seinem opulenten Volumen, sondern in der Effektivität der kleinen Bausteine. Die 18 Tracks dieser Songsammlung, die jedwedes Fehlen eines übergeordneten Spannungsbogens mit der in sich geschlossenen Homogenität des typischen Bandsounds aufwiegen, brauchen sich nicht gegenseitig, um zu wachsen und Once Twice Melody wie ein Best of mit ausnahmslos neuen Tracks funktionieren zu lassen.
Selbst wenn die mit 7 (2018) angedeuteten Versprechen auf Evolution weitestgehend unerfüllt bleiben und das Ganze der vier Viertel nicht größer ist als die Summe seiner Teile, begeistert dieses Mehr – so viel Mehr! – vom Selben wie eine Abfolge an Dreampop-Hits und Evergreens. 18 potentiellen Lieblingssongs halt, in die man sich so schon beinahe in der Phase der definierenden Meisterstücken von Victoria Legrand und Alex Scally zwischen 2008 bis 2012 verliebt gehabt zu haben meint.

Cave In - Heavy Pendulum18. Cave In – Heavy Pendulum

Review | Spotify

Dass Nate Newton Heavy Pendulum als eines seiner Lieblingsalben des Jahres deklariert erscheint nur absolut logisch (und keineswegs als „shameless self promotion“): Die unzählige Facetten anbietenden Cave In haben ihr siebtes Studioalbum merklich auf die Bedürfnisse des 47 jährigen abgestimmt und heißen ihren neuen Bassisten mit 71 Minuten willkommen, die den charakteristischen Sound der Band an das Erbe der Doomriders heranführen. Nicht als Kompromisslösung, sondern als vor homogener Synergie berstende Kernfusion.
Heavy Pendulum strotzt vor bis in den Sludge und Grunge reichenden Energien und fetten Riffs, vor spacigen Signature-Melodien und einer breitbeinig bellenden Heavy-Attitüde, die vom plättenden Killer-Opener New Reality bis zum über 12 Minuten ausholenden Abschluss-Epos Wavering Angel so viele Tugenden von Cave In in einer gnadenlosen Frischzellenkur artikuliert. Mehr noch: da ist das starke Gefühl, dass Heavy Pendulum derart veranschlagt ist, dass es – gibt es so etwas wie eine wie auch immer geartete Nachwelt – auch eines der Lieblingsalben von Caleb Scofield sein wird. Idealer geht der Brückenschlag aus Neubeginn und Ehrerbietung jedenfalls eigentlich nicht.

KEN mode - NULL17. KEN mode – Null

Review | Spotify

This untasteful place/ Something is broken, something is fucked“ brüllt Jesse Matthewson gleich zu Beginn von Null in einen Noiserock/Sludge-Malstrom in der Kampfzone von unter anderem Today Is The Day, Melvins, Cattle Press, Jesus Lizard oder Unsane – dabei läuft es nach dem Wirkungstreffer, den die Pandemie gelandet hat, mittlerweile eigentlich sogar rund wie selten bei den Kanadiern.
All den Negativismus der vergangenen zwei Jahre haben KEN mode in den garstigen Nihilismus-Batzen Null gepresst,  ihr bisher womöglich doch intensivstes Album, das den Bogen von Loved (2019) weiterspannt, bevor Void, das bereits fertiggestellte und für 2023 anstehende neunte Studiowerk der Band, den laufenden Zyklus abschließen wird. Am wichtigsten aber dürfte sein, dass Multiinstrumentalistin Kathryn Kerr nun fester Bestandteil der zum Quartett gewachsenen Gruppe ist und KEN mode (vor allem live) noch mehr Tiefe und Variabilität im Sound gibt (das Saxofon! ein Piano! und erst all die Synthies, auf die Matthewson seit der Pandemie so steht!), vor allem aber dem Kerntrio angeblich zudem einen bisher unbekannten Optimismus einimpft. Wahrzunehmen ist ein solcher auf Null aber höchstens dahingehend, dass sich die 36 Minuten der Platte wie die Rückkehr einer zurückgelassen schwindenden Psychose anfühlen – und das eine tatsächlich euphorisierende Katharsis auslöst.

Mizmor & Thou - Myopia16. Mizmor & Thou – Myopia

Review | Spotify

Obwohl (oder gerade auch weil?) Myopia hinten raus schon einige mäandernde Meter vermisst gönnen sich מזמור alias Mizmor und Thou mit dem Klaimx des abschließenden Closers The Root ein Conclusio wie es nur wenige andere in diesem Jahr derart erhebend, mächtig und durch und durch befriedigend waren.
Mit dem Vorwurf, dass die (nach der Emma Ruth Rundle als Bindeglied featurende Single Night zweite) Zusammenarbeit zwischen der Band aus New Orleans (die dieses Jahr mit NORCO ja auch so etwas wie ein heimliches Beinahe-Album veröffentlichte) und A.L.N. (der durch Wit‘s End seine Ambient-Ambitionen bis zu einem gewissen Grad vervollkommnet zeigte) ein paar Längen hat, kann man aber gut leben: Die Symbiose aus dem patentiert giftigen Thou-Doom und den Black Metal-Welten von Mizmor liefert schließlich mit einigen der fettesten Riffs, die Pallbearer nach Foundations of Burdens ausgelassen haben, als feuchter Traum exakt entlang der immens hohen Erwartungshaltung ab – zumindest wenn man vorab eine gehabt hätte, ist Myopia als Roadburn-Überraschung doch quasi aus dem Nichts gekommen.
Keineswegs derart ad hoc kommt übrigens die verdammt viel Vorlaufzeit benötigende, immer noch auf dich warten lassende reguläre Vinyl-Version – bei den übrig gebliebenen Exemplaren der Roadburn-Variante zuzugreifen ist derweil ja eher ein teures Vergnügen. Ganz ungeachtet der Tatsache, dass jede der 74 Minuten das Geld unabhängig etwaiger Meckerei auf hohem Niveau mehr oder weniger wert ist.

Géonne Hartman - He Went To The Sea15. Géonne Hartman – He Went to the Sea

Review | Spotify

Es gibt wirklich keinen guten Grund, warum He Went to the Sea dieses Jahr das offenbar bestgehütete Geheimnis in den Landen zwischen verträumtem Indie Folk und elektronisch unterspülter Singer-Songwriter-Schönheit sein sollte. Warum nicht schon längst so viel mehr Leute ihre Herzen an diese mit bezaubernder Stimme vorgetragenen Ohrwürmer (wie etwa Landscape) und heimlichen Hits (alleine schon Correct Me If I’m Wrong!) und ausfallfrei gereihten Lieblingssongs verloren haben. Warum Algorithmen von Bandcamp und etwaiger Streaming-Dienste nicht in bebendes Verzücken geraten sind, die Schätze dieses Debütalbums der Hörerschaft von Big Thief, Bowerbirds oder Dirty Projectors anpreisen zu dürfen.
Obwohl das ebenso kunstfertige wie instinktive, stets ein wenig mystisch und entrückt bleibende He Went to the Sea kein Ablaufdatum hat, sei es an dieser Stelle deswegen noch einmal überdeutlich erwähnt: Das Entdecken des aus dem Nichts gekommenen Debütalbums der Niederländerin Géonne Hartman ist schon ein bisschen unbezahlbar!

14. Cult of Luna – The Long Road North

Review | Spotify

Dass The Long Road North für Cult of Luna drei Jahre nach dem neuerlichen Karrierehighlight A Dawn to Fear nicht noch weiter nach oben führt, liegt zum einen schon auch daran, dass die auch diesmal gebrachte obligatorische Klargesang-Intimität (Into the Night) wie schon Inside of a Dream zuletzt enttäuschend – weil im Chorus etwas zu bemüht intoniert – ausgefallen ist, wo stille Äquivalente wie Passing Through oder And With Her Came the Birds bisher zuvor ja immer Sternstunden des Kanons darstellten.
Zum anderen (und viel gravierender) aber schlägt die Tatsache zu Buche, dass Cult of Luna nun mal eben längst an der absoluten Spitze stehen: Die Schweden sind Post Metal und The Long Road North ist von Cold Burn weg eine einzige Dominanzgeste. Imposant, majestätisch, über dem Rest thronend. Da gibt es Songs, für die man dachte eine Isis-Reunion zu brauchen (The Silver Arc), Klassiker für die Annalen des Genres (An Offering to the Wild), Standards, die all die zuletzt so famos abgeliefert habenden Kollegen wie Codespeaker oder The Fellow Traveller bei aller Wertschätzung beinahe (aber eben wirklich nur beinahe!) obsolet erscheinen lassen, oder Triumpfzüge a la Blood Upon Stone – für Cult of Luna im Grunde alles Business as usual. Oder: das nächste Karrierehighlight.

Danger Mouse & Black Thought - Cheat Codes13. Danger Mouse & Black Thought – Cheat Codes

Review | Spotify

Dass Teamplayer Tariq Luqmaan Trotter unter anderem kurz vor Ende des Jahres noch eine starke Kooperations/Remix EP mit dem Nigerianer Seun Kuti (seines Zeichens Sohn von Fela, Bruder von Femi) nachgeschoben hat, oder weit davor bereits für die auffälligen Highlights des Black Star-Comeback sorgte, ging im Schatten von Cheat Codes beinahe unter: Black Thought ist acht Jahre nach dem bisher letzten Roots-Album derzeit produktiv wie lange nicht!
Während die Klasse der eine Hälfte des Duos hinter Cheat Codes, dem Konsens-Rap-Album des Jahres, mancherorts übersehen wurde – oder aufgrund ihrer erwartbarem Konsistenz und Unfehlbarkeit beinahe gleichgültig wahrgenommen wurde? – steht im Kontrast zur Karriere von Danger Mouse, der hier nun seit Jahren (über Alben mit Karen O, Michael Kiwanuka oder Parquet Courts) laufendes Rehabilitationsprogramn fortsetzt und krönt. Dass der Produzent, der die Black Keys versaut hat oder mit Jobs für U2 und die Chili Peppers eher das eigene Prestige samt  Geldbörse nährte, anstatt künstlerische Relevanz erzeugte, ist eben tatsächlich auch schon bald wieder eine Dekade her. Heute ist das alles (beinahe) vergeben und vergessen.
(Zurück) An den Hip Hop-Wurzeln kommt die Synergie der beiden Routiniers schließlich wie die massenwirksame, manchmal etwas zu glatt bleibende Wiederentdeckung eines verlorenen Gefangenen Beinahe-Evergreens daher: zeitlos! (Und Belize, dem sogar EX-President Obama verfallen ist, nimmt natürlich einen besonderen Platz ein: RIP MF DOOM!)

Nostromo - Bucephale12. Nostromo – Bucephale

Review | Spotify

Bucephale ist kein bestialischer Streitross alleine, nein, es ist gleich eine komplette höllische Kriegsmaschine, die mit Unterstützung von Church of Ra-Mitglied Dehn Sora und den Kumpels Monkey 3 aus dem Metalcore in den Grind, Post Metal, Doom und Djent einfällt, ohne dabei Gefangene zu nehmen.
Zwei Jahrzehnte, nachdem das Meisterstück Ecce Lex den mit Argue vorgelegten Legendenstatus der Schweizer zementierte, knüpfen Nostromo jedenfalls nicht nur an alte Großtaten, sondern verpassen sich auch eine moderne Frischzellenkur, die superpräzise nach potentieller Weltmacht klingt: Rapha‘l Bovey hat der Band (wie schon auf dem Interims-Rückkehr Narrenschiff) zu einem optimalen Sound verholfen, und füllt die Lücke, die der unersetzbare Mieszko Talarczyk als Produzent hinterlassen hat, kongenial auf.
Gewidmet ist Bucephale derweil aber einer anderen Legende: Knut-Frontmann Didier Séverin verstarb am 23. März 2022 und Nostromo stehen ihm mit einer Wiederauferstehung in beängstigender Form Spalier.

Bilderbuch - Gelb ist das Feld11. Bilderbuch – Gelb ist das Feld

Review | Spotify

Gelb ist das Feld ist schon auch ein perfektes Sommeralbum in dem Sinne, dass es in den sonnigen Monaten des Jahres am idealsten zündet und einem das Herz vor unendlicher Zufriedenheit aufgehen lässt. Es ist aber mehr noch auch ein solches, das selbst dem kältesten Winter die lockere Nonchalance einer entspannten Sommerstimmung verleiht – mit seinem an die 70er und 80er gemahnenden Laurel Canyon-Vibe, den Fleetwood Mac-, The Police oder Eagles-Reminiszenzen, den sanften zwölfsaitigen und doppelköpfigen Gitarren samt verführerischen Lavalampen-Retro-Synthieschwaden ist das hier eine übersaisonale Glückshormonkur. Ein ewiger Urlaub, purer Eskapismus.
Mit der ersten US-Tour der sich immer wieder neu erfindenden, sich offenbar sogar in die Gunst der Rolling Stones gezaubert habenden Band im Rückspiegel ist Gelb ist das Feld zudem das Erfüllung aller vollmundiger Versprechen, die Magic Life, Mea Culpa und Vernissage My Heart nach dem Hitsammelsurium Schick Schock nur bedingt einlösen konnten: Kompletter als auf ihrem von vorne bis hinten stimmig zu Ende gedachten vorläufigen Meisterstück haben Bilderbuch noch nicht die Köpfe verdreht.

| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  | Playlisten |

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen